"So, hier Ihr Platz. Fühlen Sie die Lehne vor sich? Wenn Sie sich  auf diesen Stuhl setzen, steht Ihr Gedeck genau vor Ihnen. Jetzt wünsche ich Ihnen viel Spaß!“

Umständlich quetsche ich mich auf meinen Platz und versuche dabei, das Sitzmöbel so wenig wie möglich zu verschieben. Um mich herum höre ich Stimmengewirr. Die Glücklichen haben wenigstens jemanden, mit dem sie sprechen können. Ich weiß noch nicht einmal, ob meine Verabredung schon da ist.

Was für eine blödsinnige Idee, das erste Date mit meinem Internetflirt bei einem Dinner in the Dark abzuhalten! Ich taste vorsichtig auf dem Tisch herum. Besteck, ein Glas, die Tischdecke fühlt sich wie Plastik an. Hoffentlich stelle ich mich nicht zu dämlich an.

Wenn das Licht am Ende wieder angeht, wird sie ja sehen, wie sehr ich gekleckert habe. Bestimmt hat sie das schon öfter gemacht. Weshalb hat sie sonst diesen Ort für diesen Anlass vorgeschlagen?

Ich gerate ins Schwitzen. Himmel, das hat mir gerade noch gefehlt. Irgendwo habe ich gelesen, dass bei Blinden die anderen Sinne besonders scharf ausgeprägt sind. Bestimmt gilt das auch, wenn man nur so tut als ob. Jetzt wird ihr erster Eindruck von mir ein ekeliges Müffeln sein. Habe ich Parfüm oder Deo in meiner Handtasche? Ich weiß es nicht mehr. Das kommt davon, wenn man im letzten Moment noch alles in eine Neuerwerbung umräumt. Die vielen, praktischen Seitenfächer, da finde ich im Dunkeln doch nie etwas drin,

Um wie viel war ich eigentlich zu früh dran? Müssten die nicht längst anfangen, wenigstens die Getränke zu servieren? Sie ist ganz bestimmt schon da und fragt sich, warum ich nichts sage. Aber solange ich schweige, kann ich immer noch unauffällig verschwinden und dann für den Rest meines Lebens einen weiten Bogen um alle Dating-Portale machen.

Aber schade wäre es schon. Die Nachrichten, die wir in den letzten Wochen ausgetauscht haben, waren vielversprechend. Wir scheinen voll auf einer Wellenlänge zu sein, können über dieselben Dinge lachen und uns über gleichen Themen aufregen.

Und eigentlich fand ich ihre Idee, sich beim ersten richtigen Treffen, garantiert nicht von Äußerlichkeiten beeinflussen zu lassen, ja auch gut. Bisher habe ich nur nie darüber nachgedacht, dass Äußerlichkeiten nicht nur das sind, was man sieht. Ich seufze laut auf.

„Hallo? Ach, sitzen wir gar nicht an einem Doppeltisch? Ich bin der Peter und mir gegenüber sitzt meine Frau Rosi.“

Der Schreck ist mir in die Glieder gefahren. Jetzt sitzen wir auch noch mit einem unsichtbaren Hetero-Paar zusammen. Was werden die von uns denken?

„Hallo! Ich bin die Marion. Sonst sitzt hier noch niemand, oder?“

„Nicht, dass ich jemanden sehen würde“, Rosi kichert albern. Sie scheint nur wenige Zentimeter neben mir zu sitzen, so schrill dröhnt ihre Stimme in mein Ohr. Wenn wir uns nun beim Essen gegenseitig mit den Ellenbogen anrempeln, wie peinlich!

Zum Glück scheinen die beiden auch kein Interesse an einer Fortsetzung des Gesprächs zu haben. Ich lausche in die Finsternis und versuche herauszufinden, wie groß der Raum ist. Kann ich es unbemerkt bis zur Tür schaffen?

Von wo bin ich eigentlich gekommen? Ohne die Mitarbeiterin, die mich an meinen Patz geführt hat, bin ich völlig aufgeschmissen und dabei hat die eigentliche Herausforderung, das unsichtbare Essen im Beisein meiner möglichen neuen Liebe, noch nicht einmal begonnen.

„So, hier Ihr Platz. Fühlen Sie die Lehne vor sich? Wenn Sie sich  auf diesen Stuhl setzen, steht Ihr Gedeck genau vor Ihnen. Ihre Verabredung sitzt Ihnen schon gegenüber. Jetzt wünsche ich Ihnen viel Spaß.“

Zu spät da ist sie. Ich höre ihr aufgeregtes Atmen und wie sie sich im Dunkeln setzt. Ich glaube, sie ist genauso aufgeregt wie ich und sie hatte noch keine Gelegenheit, sich auf diese Situation einzustimmen.

„Hallo“, sage ich. „Schön, dass wir uns endlich nicht sehen. Ich bin die Marion und du bist die Kirsten, stimmt’s.“

Sie lacht über meinen Scherz mit dem Nichtsehen. Genau so habe ich mir ich mir ihr Lachen vorgestellt.

„Schön, dass du gekommen bist! Ich habe mich kaum her getraut vor lauter Aufregung. Mal sehen, was der Abend so bringt.“ [Themenvorgabe "Der dunkle Raum"]

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