Für alle, die an den Aktionen am 20.und 21. Juli beteiligt waren


„Guten Tag, Ich bin Schwester Christa. Sie sind also Herr Töpfer? Sollen Sie heute eine VAK-Pumpe bekommen?“


Harri nickte und hoffte inständig, dass seine Kopfbewegung nicht so verzagt aussah, wie er sich fühlte. Keine der vielen Tätowierungen, die er sich hatte verpassen lassen, hatte in ihm so ein gruseliges Gefühl ausgelöst.


„Sie hatten also einen Motorradunfall und haben jetzt eine großflächige Hautablederung am linken Bein, die so nicht heilen will. Ich verstehe. Dann steigen Sie erst einmal auf den OP-Tisch um.“


„OP? Der Stationsarzt sagte, es soll nur so eine Pumpe angebracht werden. Von Vollnarkose hat niemand etwas gesagt.“


„Aber Herr Böttcher, keine Sorge, wir machen das nur aus praktischen Gründen hier im OP. Eine Vollnarkose ist gar nicht nötig, nicht einmal eine örtliche Betäubung. Der OP-Tisch ist einfach praktischer, als wenn wir es im Bett machen.“


Ein wenig erleichtert rutschte Harri Stück für Stück vom Bett auf den Tisch und hoffte inständig, dass das Flügelnachthemdchen, das man ihm auf der Station aufgenötigt hatte, seine neueste Tätowierung, eine ziemlich misslungene Ratte, die seine rechte Gesäßhälfte verzierte, bedecken würde.


„Tina, bringst du mir schon mal ordentlich schwarze Mamba?“


Entgeistert starrte Harri Schwester Christa an, aber diese bemerkte es nicht einmal. Sogleich kam eine zweite Schwester mit einem schwarzen Köfferchen aus dem Nebenzimmer. Wie Christa war auch sie hinter ihrer FSP2-Maske kaum zu erkennen.


Harris Bauchgefühl wurde immer mulmiger. Schwarze Mamba? Auch wenn er das keinem seiner Kumpels aus dem Rockerclub je anvertraut hätte, er hasste und fürchtete nichts auf der Welt so sehr wie Schlangen. Und jetzt sollte er sich gerade mit „ordentlich“ vielen davon in einem Raum aufhalten? Wann würde Christa den Koffer öffnen und was würde sie mit den Viechern machen? Sollten sie ihm vielleicht die Lymphflüssigkeit aus dem Bein saugen?


„So, Dr. Vollder-Mord kommt jetzt gleich, dann kann es losgehen.“


Harri erschrak noch mehr. Hatte er sich gerade verhört? Diesen bekloppten Doppelnamen konnte es doch unmöglich ein zweites Mal in der Stadt geben.


„ Ach Götz, da bist du ja schon. Das hier ist Herr Töpfer, der eine VAK bekommen soll.“


„Guten Tag, mein Name ist Vollder-Mord. Na dann sehe ich mir das mal an. Oh, das sieht aber gar nicht gut aus. Motorradunfall habe ich gehört?“


Harri wünschte sich zurück in sein Bett, in dem er sich wenigstens unter der Decke hätte verstecken können. Er war es, der nette ältere Herr, dem er und seine Kumpels am Tag vor seinem Unfall mit ihren Maschinen die Blumenbeete im Vorgarten zerstört hatten, einfach nur zum Spaß. Und der einzige Grund dafür, dass sie ausgerechnet ihn als Opfer ausgewählt hatten, war weil sein Name so albern war.


Ob er ihn  erkannte? Er hatte ja seinen Helm getragen, aber so fiel es ihm siedend heiß ein, nur die kurzen Hosen, die ihm am Unfalltag zum Verhängnis geworden waren und nicht die übliche Lederkluft, die seine Körperkunst verdeckt hätte.


„Oh, Sie haben sich aber ordentlich verzieren lassen.“


Vollder-Mords Stimme ließ keine Rückschlüsse zu und soweit Harri es hinter der Maske erkennen konnte, schaute der Arzt nicht unfreundlich. Jetzt näherte er sich dem schwarzen Koffer und öffnete ihn vorsichtig einen Spalt breit.


„Alles da, Christa? Haben wir auch genug Schwarze Mamba?“


„Aber sicher, Götz, du hast doch extra darum gebeten. Besondere Patienten verdienen eine entsprechende Behandlung.“


Harri wäre am liebsten davon gelaufen. Verzweifelt überlegte er, was schlimmer war, diesem Sadisten ausgeliefert zu sein oder in Kauf zu nehmen, dass andere Leute sein entblößtes Hinterteil auf dem Weg zurück zur Station sahen. Er entschied sich für den Mittelweg. Wenn er seine Boshaftigkeit schon mit dem Leben bezahlen musste, wollte er wenigstens nicht zusehen. Er riss sein Kopfkissen vom Bett neben dem OP-Tisch und drückte es sich auf das Gesicht. Noch durch die Federn konnte er Götz, Christa und Tina kichern hören.


Jetzt spürte er, wie sich jemand an dem Verband an seinem Bein zu schaffen machte. Er hörte das Klicken einer Schere.


„Tina, mach das mal sauber. Wir wollen doch...“


Offenbar hatte sich Vollder-Mord vom Ort des Geschehens entfernt, denn den Rest des Satzes hörte Harri nicht mehr. Aber was sonst konnte der Arzt gesagt haben als keine Spuren oder Fingerabdrücke hinterlassen? An seinem Unterschenkel wurde es feucht. Fast fühlte es sich als würde eine Schlange mit ihrer langen Zunge darauf herum lecken.


„So, dann machen wir das mal zu. Was denn, da sind ja nur zwei Schwarze Mambas drin, ich hatte doch ausdrücklich drei gesagt.“


„Aber als ich den Koffer oben abgeholt habe, waren auch drei drin.“ Tinas Stimme klang panisch.


„Muss ich denn hier alles selbst machen? Ihr wisst doch, wie wertvoll die Dinger sind. Jetzt probieren wir es erst mal mit zweien.“


Harri lauschte panisch auf die nicht identifizierbaren Geräusche, die folgten. Ein Knistern und Ratschen begleitet vom Gemurmel der drei.


„Glück gehabt, es reicht. Jetzt sagt bloß niemandem, dass uns eins von den Biestern abhanden gekommen ist. Macht schnell die Folie drüber, bevor uns diese beiden auch noch abhauen.“


Harri versuchte verzweifelt mit dem gesunden rechten Bein in die Richtung zu treten, in der er Vollder-Mord vermutete. Doch Christa war stärker. Sie drückte sein Bein zurück auf die Tischplatte.


„Aber Herr Töpfer, jetzt liegen Sie schön still. Gleich haben Sie es überlebt.“


Harri bezweifelte es sehr. Das Knistern und Rascheln wurde lauter, der Druck an seinem Bein stärker. Fast fühlte er etwas langes, glitschiges an seinem Bein hochkriechen.


„So, dann schließen wir sie an, mal sehen, ob alles dicht ist und nichts mehr entweichen kann.“

Nun erklang ein Geräusch, das keine Zweifel mehr offen ließ, ein bösartiges, wütendes Zischen, wie

 es nur eine Schlange produzieren kann. Harri versuchte verzweifelt, sich aufzurichten, aber ihm schwanden die Sinne.  Hart prallte sein Kopf auf die Tischkante.


„Herr Töpfer, hören Sie mich? Gott sei Dank, da ist  wieder. Was machen Sie denn für Sachen, Herr Töpfer? Gerade hatte ich unsere Black Mamba, die tollen schwarzen Schwämme für die VAK-Pumpe alle sicher befestigt, da klappen Sie einfach so weg.“


Harri sah ungläubig auf sein linkes Bein, das Vollder-Mord vor seiner Nase in die Höhe hielt und erkannte das Material unter der Folie und dass das einzig schlangenförmige weit und breit, der Schlauch war, der von seinem Bein zur Pumpe führte. Während Christa noch einen Kompressionsverband anlegte, gelobte Harri insgeheim, Vollder-Mord eine Auswahl der schönsten Pflanzen für seinen Vorgarten zu spendieren.