Ich weiß gar nicht, was los ist. Er liegt da am Boden, alles ist rot. Die beiden, die ich nicht kenne, schreien die Frau an. Sie weint. Auch sie ist rot. Warum? Ich habe Angst und weiß gar nicht, warum. Neben mir steht das Mädchen. Irgendwie weiß ich, dass die Frau sie immer Pemsi nennt. Ich habe sie irgendwie lieb, auch wenn ich nicht genau weiß, wer sie ist. Sie ist noch so klein. Die große Person stürzt sich auf die Frau und sie schreit und schreit. Dann ist sie plötzlich still. Die Personen sprechen, aber ich verstehe ihre Worte nicht. Sie brabbeln für mich wie Babys. Dann sind sie plötzlich weg und wir sind alleine, das Mädchen und ich. Wir liegen uns in den Armen und weinen und schreien und dann wache ich auf. 

Seit Jahren habe ich diesen Alptraum nicht mehr gehabt. Als ich ein Kind war, kam er immer wieder,  aber als ich zu Hause auszog, hörten sie auf.  Jetzt bin ich zurück, zum ersten Mal über Nacht und es fängt wieder an. Was hat das zu bedeuten? 

 

Ich sehe auf meine Armbanduhr. Es ist gleich fünf. Schlafen kann ich jetzt ohnehin nicht mehr. Also kann ich mich auch ebensogut gleich in die Arbeit stürzen. Was mache ich mir eigentlich vor? Ich warte doch die ganze Zeit nur darauf, die Geheimnisse dieses verdammten Hauses zu erkunden. Der einzige Grund, warum ich nicht einfach einen Profi engagiert habe, diese Hölle zu entrümpeln und von mir unbesehen zu entsorgen. 

 

Noch im Pyjama und barfuß gehe ich zu der Tür, die während meiner ganzen Kindheit Tabu war. Nur ein einziges Mal habe ich versucht, durch das Schlüsselloch zu sehen und dafür die erste und einzige Ohrfeige meines Lebens kassiert. Und das alles für nichts, denn der Raum hinter der Tür war schwarz wie die Nacht gewesen. 

 

Ich rüttele am Türgriff, aber natürlich ist wie damals abgesperrt. Widerwillig beschließe ich, mich doch erst einmal fertig zu machen. Niemand wird mich jetzt an meinem Vorhaben hindern können. Papa ist schon seit zehn Jahren tot und Mama mit ihrer Demenz im Heim weiß nicht einmal mehr, wer ich bin. Didi hat sie mich bei meinem letzten Besuch genannt. Wie in aller Welt kommt sie nur darauf? 

 

In Mamas Nachtkasten finde ich den großen Schlüsselbund. Einer davon wird sicher passen. Zum Glück hat sie nicht mehr daran gedacht, ihn zu entsorgen, bevor ihre Erinnerung sie verließ. Einen nach dem Anderen probiere ich die Schlüssel aus, bis endlich einer passt.  

 

Eigentlich hatte ich erwartet, dass die Tür oder das Schloss klemmen würde oder zumindest quietschen, aber der Schlüssel lässt sich mühelos drehen und dann stoße ich die Tür ins Allerheiligste auf. 

 

“Hallo, Polizei? Kommen Sie schnell. Die Wohnwagenkommune im Wald da. Da ist was passiert. Da schreit schon seit Stunden ein Baby und niemand kümmert sich darum.”   

 

“Wer sind Sie denn? Haben Sie selbst schon einmal nachgesehen?” 

 

“Quatschen Sie nicht, kommen Sie schnell.” 

 

 

Alles habe ich erwartet, nur nicht das. Ein Jugendzimmer, ganz ähnlich dem, das ich selbst während meiner Kindheit in diesem Haus bewohnt habe.  

 

Ein Bett, ein Schreibtisch, ein Kleiderschrank, ein paar Regale vollgestellt mit Büchern, zu deren Titeln ich auch gegriffen hätte. Dazu Andenken, viel Zeugs, das an Australien erinnert, Plüschtiere in Form von Kängurus und Koalas und ein leerer Käfig, der mal einen Wellensittich beherbergt haben mag. 

 

Die Wände sind dekoriert mit Postern mit Motiven aus Australien. Dazu Medaillen und Urkunden, die die Bewohnerin des Zimmers der Aufschrift nach bei Reitturnieren gewonnen haben muss. Auf den Urkunden stehen auch ihr Name und das jeweilige Datum. Andrea Meier, gewonnen zwischen 1958 und 1964. Kann Didi die Abkürzung von Andrea sein? Wer war sie? Warum hat niemand sie je mir gegenüber erwähnt? Was ist aus ihr geworden? 

 

Hilflos sehe ich mich um. Mir ist klar, dass dieser Raum die Erklärung für all meine psychischen Probleme enthält - und für das seltsame Verhältnis zu meinen Eltern – und nicht zuletzt für die Alpträume und Pemsi. Andrea, was hast du mir zu sagen?  

 

 

“Achtung, wir brauchen Verstärkung. Die Mordkommission, die Spurensicherung und einen Krankenwagen. Jemanden, der sich mit kleinen Kindern auskennt. Oh mein Gott, so etwas habe ich noch nie gesehen. Was machen wir denn nun? Schnell, wir brauchen ganz dringend Hilfe!” 

 

 

Der Kleiderschrank enthält die typische Sammlung von Kleidern, die Mama auch für mich gekauft hat. Röcke bis züchtig über das Knie, Blusen, die man bis zum Hals zuknöpfen kann, eine Ausgabe der Schuluniform der katholischen Privatschule, die auch ich besucht habe, Schuhe mit flachen Absätzen. Wenn Andrea dieses Haus lebendig verlassen hat, dann hat sie alles Tragbare mitgenommen. 

 

Die Handtaschen vom Typ alte Jungfer enthalten nichts als leere Geldbörsen und spitzenverzierte, blütenreine Stofftaschentücher. Keine Papiere, keine Briefe, nichts persönliches, nicht einmal ein Tütchen der von Mama selbst hergestellten Kräuterbonbons, die ich in meiner Kindheit mit mir herumtragen musste, damit ich etwas hatte, wenn andere Kinder Schokolade oder ähnlich böses aßen. 

 

Noch wage ich mich nicht an den Schreibtisch, den Ort, an dem sich am wahrscheinlichsten Spuren finden werden. Unschlüssig blättere ich durch die Bücher. Dass Mama ihr so eine gottlose Literatur übersehen hat! Politisch kritische Werke aus den Sechziger Jahren sind wie die Bibel und andere religiöse Schriften fein säuberlich in das beste und teuerste Einschlagpapier gehüllt, das es auf dem Markt gibt. Glückwunsch Andrea, in dieser Beziehung hast du sie ausgetrickst.  

 

 

“Zwei Tote also, ein Mann und eine Frau. Wissen wir die Namen?” 

“Bisher gibt es keinen Hinweis auf die Identität, keine Ausweise, Führerscheine, Briefe oder sonstige Papiere.” 

“Und die beiden Überlebenden?” 

“Sind zwei Babys, höchstens ein Jahr alt. Zwillinge offensichtlich. Sie müssen alles mit angesehen haben, die Auffindesituation lässt keinen anderen Schluss zu. Wir haben sie ins nächste Krankenhaus bringen lassen. Weiß der Himmel, was dann mit ihnen passiert.” 

“Wie grausam. Was sagen die anderen Leute hier?” 

“Die Kollegen sind bei der Befragung, aber viele Bewohner sind nicht da. Der Chef von dem Laden offensichtlich auch nicht. Ich bezweifle sowieso, dass von diesen Hippies jemand etwas weiß oder sagen will.” 

 

Schließlich finde ich keine Ausrede mehr und wende mich dem Schreibtisch zu. Soll ich hoffen, dass Mama das Entscheidende nicht gefunden hat und ich die Wahrheit jetzt erfahre? Was erwarte ich eigentlich zu finden? Ein Tagebuch wäre das Beste. Aber hätte Andrea es dagelassen? 

 

Ich öffne die erste Schublade und stoße auf einen Stapel Schulhefte. An oberster Stelle liegt Andreas Zeugnisheft. 1964 hat sie ihr Abitur an der katholischen Privatschule gemacht – mit sehr viel besserem Ergebnis als ich 21 Jahre später. Die Hefte sind sorgfältig in der peniblen Handschrift geführt, die uns die Nonnen und Mama antrainiert haben. Ich könnte die Texte selbst geschrieben haben. 

 

Ich öffne die zweite Schublade und finde einen Stapel Informatiosmaterial über Australien und die Broschüre einer Vermittlungsstelle für Au-Pair-Mädchen. Australien, so ist sie diesem gottesfürchtigen Haus also entkommen. Und Mama hat sich so geschämt, dass sie Andrea fortan verleugnet und für immer in diesem Zimmer verschlossen hat.  

 

Aber warum hat sich nie jemand dafür interessiert, was aus ihr geworden ist? Die Nonnen, der Reittrainer, Freunde, Nachbarn – es muss doch Leute geben, die sich für sie interessiert haben. Hat sie sich bei denen gemeldet? Gibt es noch Personen, die wissen, was aus ihr geworden ist? Wie kann ich sie finden? 

 

Ich überlege. Mamas Verhalten macht nur Sinn, wenn Didi – ich bin mir jetzt sicher, dass das Andrea ist – eine nahe Verwandte ist. 22 Jahre älter als ich muss sie sein und Mama muss sie sehr früh bekommen haben. Also könnte sie meine ältere Schwester sein. Hat Mama mich bekommen, um die Lücke zu füllen, die sie hinterlassen hat? Habe ich dir diese göttliche Kindheit zu verdanken, Andrea? 

 

“Gibt es immer noch keinen Hinweis auf die Identität der Toten?” 

 

“Nichts als Nieten. Erst dachten wir ja schon, wir hätten wenigstens ihn. Er hat sich bei der Einstellung in der Fabrik mit einem irischen Pass auf den Namen Sean Duncan ausgewiesen. Die haben sogar die Passnummer notiert. Aber dieser Ausweis wurde schon vor drei Jahren als gestohlen gemeldet. Der Ire lebt und war zum Tatzeitpunkt nachweislich in Dublin. Was die Frau betrifft haben wir gar keine Ahnung.” 

 

“Haben die nie mit jemandem gesprochen?” 

 

“Doch, doch. Diese Hippies waren nicht sehr gesprächig, aber am Ende kam heraus, dass die beiden sich gegenseitig Sean und Deedee genannt haben. Der Nachname hat niemanden interessiert.” 

 

“Wann sind die denn hier aufgetaucht?” 

 

“Vor ungefähr 18 Monaten in der Klapperkiste, die vor dem Wohnwagen stand. Er hat den Wohnwagen für ein Butterbrot gekauft. Der Besitzer meint, er hätte einen irischen Pass vorgelegt. Namen hat er sich keine notiert. Die Frau war damals hochschwanger. Die Kinder hat sie dann mit Hilfe einer Nachbarin im Wohnwagen zur Welt gebracht, während er arbeiten war. Zufällig war es der Geburtstag der Nachbarin, sodass sie das Geburtsdatum noch wusste, der 14. September 1966. Auch die Namen stehen fest, die Eine heißt Barbara und die Andere Pamela, es ist aber nicht ganz sicher, wer wer ist, die sehen sich zum Verwechseln ähnlich.” 

 

“Wie geht es den beiden inzwischen?” 

 

“Das kann uns niemand sagen. Was so ein Erlebnis auf die Seelen so kleiner Kinder haben kann lässt sich nicht einmal erahnen. Wenn wir nur endlich liebevolle Angehörige finden würden, die sich um die beiden kümmern.”  

 

Die anderen Fächer des Schreibtisches enthalten genau so wenig weitere Hinweise, wie das restliche Zimmer. Kein Tagebuch, kein Poesiealbum, kein Adressbuch, keine Briefe oder Zettelchen. Ich bin mir sicher, das ist Mamas Werk. Ein Blick auf meine Armbanduhr sagt mir, dass es immer noch zu früh ist, um die einzige Nachbarin zu befragen, die ich noch von früher kenne. Gestern bin ich so spät angekommen, dass sie vermutlich noch gar nicht weiß, dass ich wieder da bin. Ich mache mir einen Kaffee und streiche unschlüssig durch die Räume des Gefängnisses meiner Kindheit. 

 

Wo kann Mama noch alte Unterlagen oder vielleicht sogar Fotos versteckt haben? Es würde nicht zu ihr passen, alles zu vernichten. Ich weiß genau, wo sie Papas Habseligkeiten nach seinem Tod verstaut hat, denn dabei habe ich ihr geholfen. Hat sie Andreas Sachen später einfach dazu getan?  

 

Der Dachboden ist noch genau so, wie ich ihn in Erinnerung habe. Viele Stunden musste ich hier eingesperrt verbringen, wenn ich ein ungehöriges Wort gesagt, mich mit ungläubigen Kindern getroffen, eine schlechte Zensur geschrieben oder etwas anderes, gottloses getan hatte. 

 

Spinnenweben und Staub zeigen mir, wie lange Mama hier nicht mehr rauf kommen konnte, sonst war selbst diese Rumpelkammer penibel sauber gewesen. In der hintersten Ecke finde ich Koffer und Pappkartons, die in Mamas altmodischer Schrift mit einer Liste des Inhalts beschriftet sind. Nichts steht auf diesen Listen, das nicht aus Papas Besitz stammt. Auch die Tinte ist nirgends verblasster, als auf den anderen Listen. 

 

Seufzend öffne ich den Deckel des erstbesten Koffers. Auch wenn es Mama so gar nicht ähnlich sieht, ich muss nachsehen, ob sie ihre Geheimnisse kommentarlos hinzugefügt hat. Ach Andrea, wo bist du nur? 

 

“Kann ich etwas für Sie tun?” 

 

“Tja, ich weiß nicht, aber ich glaube, wir haben etwas für Sie. Dieses unbekannte Mädchen, wo Sie die Identität nicht kennen...” 

 

“Sie kennen sie?”  

 

“Ich bin mir nicht sicher, die Haare sind anders und sie sieht dürr und abgerissen aus, aber das könnte unser ehemaliges Au-Pair sein.” 

 

 “Ein Au-Pair Mädchen? Wie ist der Name?” 

 

“Andrea Meier aus Bayern in Deutschland. Sie war genau ein Jahr bei uns, verstand sich prima mit unseren Kindern, machte ihre Arbeit zuverlässig, wir waren mehr als zufrieden mit ihr.” 

 

“Und dann?” 

 

“Ist sie eine Woche, bevor ihr Visum ablief und sie hätte nach Deutschland zurückkehren sollen, verschwunden, während wir bei der Arbeit und die Kinder in der Schule oder im Kindergarten waren. Hier, aus irgendeiner Eingebung heraus habe ich den Abschiedsbrief aufgehoben. Kurzfassung, sie hätte sich verliebt und wollte bei ihrem Schatz bleiben. Wir sollten nicht nach ihr suchen.” 

 

“Kannten Sie den Mann?” 

 

“Nein, meine Frau und ich sind ihm nie begegnet, aber die Kinder haben später erzählt, dass er ei paar Mal mit ihnen und Deedee, wie sie sie nannten, unterwegs war.” 

 

“Wussten die Kinder den Namen?” 

 

“Sie sagten, er habe Drew geheißen, sei nett gewesen und habe ein tolles Auto gehabt. Mehr kriegten wir nicht aus ihnen heraus.” 

 

“Haben Sie ihnen das Foto aus der Zeitung gezeigt?” 

 

“Ehrlich gesagt wollten wir ihnen das nicht zumuten. Sie sind erst neun, sechs und vier. Der Große hat sich mehr für das Auto als den Besitzer interessiert, die Mittlere war zu sehr mit dem Eis beschäftigt, das er ihnen spendiert hat und der Kleine kann sich kaum noch an Drew erinnern.” 

 

“Was haben Sie denn gemacht?” 

 

“Naja, wir haben die Eltern angerufen und gefragt, was wir machen sollen. Das waren ganz komische Leute. Die sprachen von gottlosem Leben und dass sie jetzt keine Tochter mehr hätten. Wir könnten machen, was wir wollten.” 

 

“Und was wollten Sie? 

 

“Wir haben Deedees Wunsch respektiert und es auf sich beruhen lassen. Ich weiß, das war falsch, aber was hätten wir machen sollen? Wir wussten ja auch nicht wohin und mit wem sie verschwunden war.” 

 

“Und Sie haben nie wieder von ihr gehört?” 

 

“Nein, bis wir gestern das Suchfoto in der Zeitung sahen.” 

 

“Haben Sie noch die Adresse oder Telefonnummer der Eltern?” 

 

“Sie haben Glück, ich habe ein altes Adressbuch aus der Zeit gefunden, in dem die Nummer steht. Hier ist sie, Franz und Maria Meier.” 

 

“Na das ist doch zumindest einmal ein Anfang.”   

 

 

Seufzend setze ich mich auf einen der Koffer. Alles habe ich durchsucht und nichts gefunden, was mir auch nur den kleinsten Hinweis gegeben hätte. Ich sehe mich um. Nein, ich habe nichts vergessen. Sie wird so geheime Dinge doch nicht unten im Haus aufbewahrt haben, wo jeder sie finden könnte. Dann hat sie sie noch eher vernichtet. Und das würde bedeuten, dass ich nie herausfinde, was mit Andrea passiert ist. Wie soll ich eine Andrea Meier finden, die vielleicht irgendwann nach Australien gegangen ist? 

 

Mein Blick fällt auf den losen Ziegelstein in der Wand – Papas Geheimversteck. Hier hat er immer ein paar Süßigkeiten für mich versteckt, für den Fall, dass Mama mich wieder hier einsperrte. Offen hätte er sich nie gegen sie aufgelehnt, aber dieses kleine Geheimnis hat er uns gegönnt. Ich muss lächeln. Mama ist tatsächlich nie dahintergekommen, dass das Einsperren, das ja eigentlich als Strafe gedacht war, so zu einer echten Belohnung wurde. Ob er vor seinem Tod noch etwas dort versteckt hat, für den Fall, dass ich zurückkomme? 

 

Mit zitternden Fingern löse ich den Ziegel aus der Wand und greife in die Höhlung in Erwartung eines längst vertrockneten Schokoriegels, aber das, was ich ertaste, ist etwas ganz anderes, es fühlt sich an, wie die Folie einer dieser Schnellhefter, die wir in der Schule genutzt haben. Vorsichtig ziehe ich daran und richtig – heraus kommt eine zusammengerollte, dünne Mappe, auf der in Papas steifer Duckschrift “Für Barbara und Pamela”.  

 

Mit zitternden Fingern blättere ich das Deckblatt um und finde als erstes ein Foto von zwei noch sehr kleinen Mädchen, die sich zum Verwechseln ähnlichsehen. Auf die Rückseite hat Papa “Babsi und Pamsy – das letzte gemeinsame Foto” geschrieben. Ich lasse mich auf die nächstbeste Kiste fallen, bevor mir die Beine versagen können.  

 

Pemsi – Pamsy, ein erstes Geheimnis ist gelüftet. Ich habe irgendwo auf der Welt eine Zwillingsschwester. Wo ist sie? Warum sind wir getrennt worden? Mama hätte doch nie auf dich verzichtet, ein zweites Kind, das sie schikanieren konnte. Weißt du von mir? Suchst du vielleicht auch schon nach mir? Und was hat das alles mit dir zu tun, Andrea? 

 

 

“Sie sind also sicher, dass das Ihre Tochter ist?” 

 

“Natürlich bin ich sicher. Hier haben Sie ein Foto von Ihrer Abiturfeier. Ich weiß, dieses verlotterte Wesen hat nicht mehr viel mit dem gottesfürchtigen Mädchen gemeinsam, aber es ist doch eindeutig dieselbe Person.” 

 

“Maria bitte, kannst du nicht...” 

 

“Ach halt den Mund, Franz. Unsere so genannte Tochter hat sich von uns losgesagt und ist nicht aus ihrem Hausmädchenjahr zurück gekommen. Und das nach allem, was wir für sie getan haben. Zu einer guten Christin haben wir sie erzogen und sie treibt sich ohne zu heiraten mit irgendeinem Kerl herum, der nicht einmal einen Namen hat.”  

 

“Maria, denk doch mal nach, du sprichst...” 

 

“Du warst natürlich immer auf ihrer Seite. Alles ist nur deine Schuld, wenn du ihr nicht das Geld für den Australienflug gegeben hättest, wäre unsere Tochter noch am Leben. Ist dir das klar? Was müssen wir nun also tun, um ihren Leichnam überführen und in der Heimat beisetzen zu lassen?” 

 

“Das wird Ihnen meine Kollegin alles erklären. Es gibt da jedoch noch etwas, das Sie wissen müssen. Ihre Tochter und ihr Freund waren nicht alleine. Sie hatten zwei Kinder. Zwillinge, zwei Mädchen von dreizehn Monaten. Soweit wir das einschätzen können, müssen sie alles mit angesehen haben. Sie sind vollkommen verstört und zurzeit in einem Heim. Sind sie in einem Heim hier in der Stadt. Sind Sie bereit, die Kinder zu sich zu nehmen?” 

 

“Kinder? Natürlich werden wir sie nehmen und an ihnen wiedergutmachen, was unsere Tochter ihnen angetan hat. Wo müssen wir hin? Was müssen wir tun?” 

 

“Ich denke, sie sollten als erstes einmal nach den beiden sehen. Sie brauchen jetzt vor allem sehr viel Liebe. Wenn Sie wollen bringt mein Kollege zu dem Heim.” 

 

 

 

“Ja, ist noch etwas, Herr Meier?” 

 

“Liebe? Ich bin mir nicht sicher, ob Sie die richtige Lösung für die armen Würmer gefunden haben. Aber ich werde mein Bestes geben.” 

 

 

Ich blättere weiter in den Unterlagen. Es ist unfassbar. Andrea, Deedee, war meine Mutter, die Tochter der Menschen, die ich mein Leben lang für meine Eltern gehalten habe, sind meine Großeltern. Wie er es an Mama vorbei geschafft hat weiß der Himmel, aber Papa hat alles gerettet, die Adoptionspapiere, ausgestellt in Australien, Andreas Geburts- und Sterbeurkunde und Zeitungsausschnitte darüber, was damals passiert ist. 

 

Oh mein Gott, Deedee, was haben sie dir angetan? Und meine Alpträume sind die dunkelsten Erinnerungen meiner Kindheit, ihre grausame Ermordung. Auch die Zeitungsartikel schreiben von zwei Kindern, die das Verbrechen mit angesehen haben. Namen werden keine genannt. Ich weine still um die verlorene Zeit mit Pamela. Ob sie dieselben Alpträume hat? 

 

Leider steht in den Papieren nicht, was aus ihr geworden ist. Als Vater ist in meiner Geburtsurkunde zunächst “Unbekannt” angegeben, später wurde dies in “Andrew Cunnings” angegeben. Das kann alles bedeuten, ich weiß nicht einmal, woher er kam, was er machte, ob er Deedee geliebt hat. Den Zeitungsartikeln zufolge kann er nur der zweite Tote am Tatort gewesen sein. Andy, oh mein Papa. Warum habe ich an dich gar keine Erinnerungen mehr? Und wo ist Pamela? Warum haben sie uns nach allem, was geschehen ist, auch noch auseinandergerissen? Deedee, bitte gib mir ein Zeichen, hilf mir. Ich muss so schnell wie möglich nach Australien, um mehr herauszufinden. 

 

“Sie glauben also, den Toten zu kennen?” 

 

“Ja sehen Sie, ich bin mir nicht hundertprozentig sicher, er hat sich schon ziemlich verändert, die Drogen vermutlich und dann der Bart...” 

 

“Andrew Cunnings aus Liverpool, sagen Sie?” 

 

“Ja. Wir waren praktisch unsere gesamte Schulzeit in einer Klasse. Zuerst waren wir gute Freunde, aber als er dann immer mehr abrutschte, habe ich mich von ihm distanziert.” 

 

“Abgerutscht? 

 

“Naja, kleine Drogendelikte, Diebstähle, Schlägereien, die Schule hat er auch nur so mit Ach und Krach geschafft und aus der Ausbildung ist er wohl nur deshalb nicht geflogen, weil er sie im Betrieb der Eltern gemacht hat.” 

 

“Wissen Sie, wie er nach Australien gekommen ist?” 

 

“Vor fünf Jahren sind die Eltern bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen und am Tag nach der Beerdigung ist er spurlos verschwunden. Das Verhältnis zu seiner Schwester war schon immer schlecht. Sie war immer die Vorzeigetochter, stand aber immer nur an zweiter Stelle. Sie hat sich, soweit ich weiß, nie dafür interessiert, was aus ihm geworden ist und sonst war da auch niemand. Das Geld, das er mitgehen haben lassen soll, war wohl nur ein Bruchteil von dem, was er ohnehin geerbt hätte.”  

 

“Wissen Sie den Namen und die Adresse der Schwester? Als nächste Angehörige wird sie ihn noch identifizieren müssen.” 

 

“Vera ist der Vorname. Sie hat geheiratet. Den Nachnamen weiß ich nicht sicher, aber sie ist jetzt die Chefin der Cunnings Werke in Liverpool.” 

 

“Ich denke, das wird reichen. Bitte halten Sie sich zur Verfügung, falls wir noch Fragen haben.” 

 

Endlich ist es zehn und ich wage es, zu den Nachbarn zu gehen. Frau Holländer lag schon während meiner Kindheit in ständigem Streit mit Mama, aber sie ist die Einzige, die lange genug hier wohnt, um etwas wissen zu können. Und ihr Bericht wird sicherlich nichts beschönigen. 

 

Ach, dass ich mich noch hierher traue, nach allem, was ich erlebt habe. Sie hätten ja immer solches Mitleid mit mir gehabt. Was denn? Die Andrea? Ja natürlich erinnere sie sich. Die sei ja mit ihrer Tochter im Reitverein gewesen. Ein Wunder, dass Mama ihr das erlaubt hätte. So viel Zeit mit Pferden zu verschwenden, in der man hätte büßen und beten können. 

 

Ob sie ein Foto habe? Sie sieht gleich nach und kommt kurz darauf mit einem Album zurück. Andrea sieht so aus, wie ich sie mir vorgestellt habe, wir ähneln uns sehr. Auf dem einzigen Bild trägt sie eines der Kleider, die niemand außer Mama und die Frauen ihrer Gemeinde freiwillig anziehen würden. Das Foto wurde offenbar auf einer Gartenparty bei den Holländers aufgenommen. Immerhin hat Mama ihr erlaubt, in diesem Aufzug dorthin zu gehen. 

 

Ich lese die Bildunterschrift und stelle fest, dass das Bild kurz vor Andreas Abreise nach Australien aufgenommen worden sein muss. Oh ja, Frau Holländer erinnert sich. Was für ein Drama. Eines Sonntags sei die Deedee plötzlich weg gewesen, während Mama in der Kirche war. Wann hätte sie auch sonst verschwinden können. Und dann hätte sich herausgestellt, dass Papa ihr das Geld für die Flucht heimlich zugesteckt hatte. Wäre das keine Sünde gewesen, wäre es sicher zur Scheidung, wenn nicht sogar zu einem Gattenmord gekommen. 

 

So hätten sie sich dann wohl arrangiert und fortan nebeneinander hergelebt. Und drei Jahre später wären sie dann plötzlich verreist, und das nicht mit der Kirche, sondern nach Australien. Und zurückgekommen waren sie mit mir zurückgekommen und hatten erklärt, dass sie Deedee tot und ich ihr Kind sei. Das war für alle eine riesige Überraschung gewesen. 

 

Aber Mama hatte jedem unter Androhung der schlimmsten Konsequenzen gedroht, mir ja nie zu verraten, dass ich nicht ihr leibliches Kind bin und so war es bisher auch nie herausgekommen. 

 

Nein, über die Umstände von Deedees Tod hatten meine Eltern nie gesprochen. Ein zweites Kind? Eine Zwillingsschwester? Nein, davon sei nie die Rede gewesen. Wie gesagt, sie hätten sich immer nur gefragt, warum Papa Mama diese Adoption erlaubt hatte. Er hätte doch wissen müssen, dass sie mit mir dasselbe macht, wie mit Deedee. 

 

Ob ich das Foto behalten dürfte? Aber sicher. Und ich soll doch bald mal wieder vorbeikommen, vielleicht wenn ihre Helga da ist, die kann mir vielleicht noch mehr über Deedee verraten. Ich brenne darauf, ihre Einladung anzunehmen, aber mir ist klar, wohin mein nächster Weg führen wird, zu der Anwaltskanzlei in Melbourne, die laut Stempel die Adoption abgewickelt hat. Wenn jemand weiß, wohin Pamela gekommen ist, dann die. Wünsch mir Glück Andrea. 

 

 

“Was soll das heißen, das müssen die Gerichte entscheiden? Das sind die Kinder meines Bruders. Selbstverständlich stehen sie mir zu! Mein Mann und ich bemühen uns seit vier Jahren umein Adoptivkind, das ist unsere einzige Chance. Schließlich bin ich die nächste Angehörige.” 

 

“Da sind aber eben auch noch die Eltern der Mutter, die Großeltern der Mädchen. Die beiden haben sich schon an sie gewöhnt. Sie sind ja bisher gerade zweimal in dem Heim gewesen. Wenn ich Ihnen einen guten Tipp geben soll, liebevolles Beschäftigen mit Ihren Nichten wird auf die Behörden viel mehr Eindruck machen, als teure Geschenke.” 

 

“Jetzt hören Sie mir mal zu, Herr Anwalt, was können diese deutschen Bauern den Mädchen denn bieten? Bei uns werden sie alles bekommen. Die besten Kindermädchen und Schulen, Musik- und Sporthobbys so viel sie wollen, das teuerste, was es auf dem Spielzeugmarkt gibt, Reisen in ferne Länder...” 

 

“Und was ist mit Liebe?” 

 

“Was soll das heißen, Liebe? Natürlich werden wir Ihnen auch unsere Liebe geben und für sie da sein, sofern es unsere Arbeit zulässt.  Und auf gar keinen Fall werden wir ihnen unsere religiöse Weltanschauung aufzwingen. Diese Meiers sind doch gar nicht mehr von dieser Welt.” 

 

“Ms. Donovan, wir sollten dringend unsere Strategie vor Gericht überdenken. So werden Sie die Kinder nie bekommen.” 

 

“Das werden wir ja noch sehen!"

 

 

“Ja, Frau Meier. Ich habe mir hier die Akte herausgesucht, aber viel nachlesen musste ich gar nicht. Der Fall liegt noch so klar vor mir, als wäre er gestern passiert. Das ist die schrecklichste Geschichte, die mir in meiner langen Laufbahn als Anwalt untergekommen ist.” 

 

“Bitte schonen Sie mich nicht. Ich will die ganze Wahrheit wissen.” 

 

“Nun, da war zunächst einmal der Mord selbst.  Zwei so junge Leute – nicht nur getötet, sondern vorher offensichtlich auch grausam misshandelt und gequält. Der Wohnwagen durchwühlt und praktisch auseinandergenommen, überall Blut. Ich habe ja nur die Tatortfotos und nicht den Tatort selbst, aber das hat schon gereicht. Und dann natürlich Sie und Ihre Schwester. Zwei unschuldige Kinder, die alles mit angesehen haben mussten. Ich habe mich seitdem immer wieder gefragt, was aus Ihnen geworden ist.” 

 

“Alpträume. Unerklärliche Alpträume. Schreie und viel Rot und ein kleines Mädchen, von dem ich irgendwie wusste, dass sie Pemsi heißt. Bitte sagen Sie mir zuerst, was aus ihr geworden ist.” 

 

“Tja, sie wurde von der Schwester Ihres Vaters adoptiert. Ihre Großeltern und diese Tante wollten Sie beide unbedingt haben, koste es, was es wolle. Am Ende hat ein Gericht dann eine Entscheidung getroffen, die meiner Ansicht nach einfach nur grausam war. Sie beide nach allem, was Sie durchgemacht hatten, auch noch zu trennen. Ich war dabei, als Ihre Großeltern Sie aus dem Heim abholten, um mit Ihnen zurück nach Deutschland zu fliegen. Sie haben beide entsetzlich geweint und geschrien.” 

 

“Daran kann ich mich gar nicht erinnern. Was war das Motiv für die Morde und wurden sie je aufgeklärt?” 

 

“Nein. Man hat weder das Motiv, noch die Täter je gefunden. Der Tatort war so eine Art Hippy-Kommune im Wald. Zum Tatzeitpunkt wollte niemand dort gewesen sein und man konnte keinem das Gegenteil beweisen.  Genauso wenig wie wer am Ende die Polizei gerufen hat. Die Polizei vermutete, dass es um Drogen ging, konnte aber auch hier nichts nachweisen. Irgendetwas haben die Täter gesucht, nur was? Soweit ich weiß, hat die Polizei den Wohnwagen noch gründlicher auseinandergenommen und nichts gefunden. Und warum waren alle Papiere verschwunden? Zumindest bei Ihrem Vater war es purer Zufall, dass ein Schulfreund nach Australien reiste und ihr auf einem Suchplakat erkannte.” 

 

“Wissen Sie, wovon sie gelebt haben?” 

 

“ Ihr Vater hat in einer Fabrik 20 km von hier gearbeitet. Dort hat er sich mit einem als gestohlen gemeldeten, irischen Pass ausgewiesen. Der Ire war zum Tatzeitpunkt längst wieder in seiner Heimat und hatte offensichtlich nichts mit der Tat zu tun. Ihre Mutter hat sich wohl um Sie beide gekümmert und ab und zu gegen Geld die Kinder der Nachbarn gehütet.” 

 

“Wissen Sie, wie sie uns behandelt haben?” 

 

“Eines der wenigen Dinge, die man aus diesen Hippys herausbekam war, dass Ihre Mutter ganz vernarrt in Sie war. Sie waren gut genährt und im Wohnwagen gab es viel Kinderkleidung und Spielzeug, während die beiden eher abgerissen wirkten. Ihr Vater war megastolz auf Sie und schleppte Sie, wenn er frei hatte, überall mit hin. Allgemein wirkten beide sehr liebevoll.” 

 

“Und dann musste ich zu meinen Großeltern kommen...” 

 

“Ihr Großvater hat noch versucht, auf Ihre Großmutter einzuwirken, aber er hatte keine Chance. Die Frau hatte offensichtlich die Hosen an und ließ ihn kaum zum Sprechen, geschweige denn zum Handeln kommen.” 

 

Ich seufze, er hat ja so Recht, so war es bis zu Papas frühem Krebstod. Ach Andrea, warum hat man dich aus meinem Leben gerissen? 

 

 

“Hiermit ergeht folgendes Urteil: Das Kind Pamela wird der Tante, Vera Donalds und ihrem Mann Max zugesprochen. Das Kind Barbara wird den Großeltern Franz und Maria Meier zugesprochen. Das Sorge- und Aufenthaltsbestimmungsrecht wird mit sofortiger Wirkung auf die jeweilige Partei übertragen. Die formelle Adoption erfolgt nach Erfüllung der entsprechenden Formalitäten. Die Sitzung ist hiermit geschlossen.” 

 

 

 

“Ist es wirklich das, was du wolltest, Maria? Die Kleinen nach alle dem auch noch auseinanderreißen?” 

 

“Sie hätten sie ja auch beide uns zusprechen können. So wäre es Recht gewesen. Ein gutes, christliches Elternhaus, in dem sie zu gläubigen Menschen erzogen werden.” 

 

“Aber du weißt, was du bei Maria damit angerichtet hast. Sie ist vor deiner Strenge geflüchtet.” 

 

“Schweig still. Denk daran, dass du für ihren Tod verantwortlich bist. Hättest du ihr nicht das Geld gegeben, würde sie jetzt noch leben und sich auf ein Leben als Nonne vorbereiten. Aber du musstest sie ja nach Australien lassen. Schande über dich. Gott wird dich zur rechten Zeit dafür strafen.”   

 

“Wissen Sie denn noch, wie diese Tante hieß?” 

 

“Es steht in den Akten. Max und Vera Douglas hieß das Paar. Sie hatten eine große Werft in Liverpool, die hieß aber anders, weil sie der Frau gehörte und die den Nachnamen ihres Mannes angenommen hatte. Als eiskalte Geschäftsfrau habe ich sie in Erinnerung, die hauptsächlich einen Erben für die Firma suchte.” 

 

“Und meine Mutter ein Opfer für ihre Tyrannei. Warum nur? Haben Sie eine Adresse?” 

 

“Leider nein.” 

 

“Dann kann ich nur hoffen, dass es die Firma noch gibt und das Pamela nicht auch geheiratet und ihren Namen geändert hat.”  

 

 

Als das Telefon klingelt, läuft mir ein kalter Schauer den Rücken herunter. Eine Vorahnung? Ich muss zwei Klingeltöne abwarten, bevor ich abheben kann. Wie üblich melde ich mich mit ‘Ja?’.

 

Einen Moment lang ist es in der Leitung still, dann höre ich eine zaghafte Stimme. 

 

“Bitte entschuldigen Sie, aber sind Sie Pamela Douglas?” 

 

“Äh ja.” 

 

“Geboren am 14. September 1966 in Australien?” 

 

Ich schlucke und nicke, bevor ich merke, wie absurd das am Telefon ist. 

 

“Das ist richtig.” 

 

“Ich weiß, dass klingt jetzt verrückt, aber haben Sie schon einmal den Namen ‘Barbara Meier’ gehört?” 

Ich schreie auf, mehr bringe ich nicht heraus. Er ist da, der Moment, auf den ich seit sieben Jahren warte. Jill kommt aus ihrem Zimmer und nimmt mich verstört in die Arme, weil ich wie ein Schlosshund weine. Das gibt mir die Kraft, endlich zu antworten. 

 

“Barbara? Bist du wirklich Barbara?” 

 

Am anderen Ende der Leitung höre ich ein erleichtertes Seufzen. 

 

“Ich wusste ja nicht, ob du überhaupt von mir weißt.” 

 

“Schon seit sieben Jahren. Ich habe alles versucht, um dich zu finden, aber wie findet man in Deutschland jemanden mit dem Namen Meier, von dem man nicht einmal ungefähr weiß, weiß, wo er wohnt, geschweige denn irgendetwas anderes? Wo bist du? Wie schnell kannst du hier sein?” 

 

“Am Flughafen in Liverpool.” 

 

“Dann nimm das nächste Taxi und komm her.” 

 

Ich reiße meine Tochter in die Arme. Sie hat längst verstanden und ist genauso glücklich und zugleich verstört wie ich. Gleich wird sich der Kreis endlich schließen.  

 

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