20 wichtige Erlebnisse, die ich hatte

Mal sehen, ob ich sie zusammenbekomme.


Die Reihenfolge ist zufällig, wie sie mir gerade einfallen.


1. Irgendwann Anfang der 90er Jahre bekam ich kurzfristig ein langes Wochenende und beschloss, von München nach Bremen zu fahren. 


Für eine Platzreservierung war es zu spät und wegen eines Feiertags waren die Züge überfüllt und ausgebucht. Ich hatte aber Glück und fand noch einen Platz, legte meine Jacke darauf, verstaute mein Gepack und machte mich auf den Weg zum Speisewagen, um mir Reiseproviant zu besorgen, bevor in Augsburg der Wagen voll wurde. 


Ich weiß nicht, durch wie viele Wagen ich schon gewandert war, als es plötzlich hinter mir einen lauten Knall tat und noch einen und noch einen. Krimifan, der ich bin, schrie ich los "Die schießen, die schießen" und die Leute duckten sich in ihren Sitzen, während ich immer noch aufrecht im Mittelgang stand und beobachtete, wie die Oberleitung von einer Seite des Zugs zur anderen geschleudert wurde, während dieser in Ermangelung von Strom langsam zum Stehen kam und die Fensterscheiben zerbarsten.


Irgendwann dachte ich mir, ich gehe besser zurück an meinen Platz und zu meinen Sachen. Ich dackelte also durch einen Wagen nach dem Anderen, bis ich in einen kam, wo ich schon von weitem ein riesiges Loch in einer Scheibe und Scherben über die ganze Wagenbreite verstreut sehen konnte. 


Im Näherkommen entdeckte ich dann auf dem Platz neben dem Loch meine Jacke. Nicht auszudenken, wenn ich noch dort gesessen hätte, als das Unglück geschah. Der Zug wurde später von einer Diesel-Lok nach Augsburg gezogen und irgendwie habe ich es auch noch nach Bremen geschafft.


2. Meine erste selbst bezahlte Urlaubsreise führte von München in den bayrischen Wald. Wie ich, die ich mir gar nichts aus Wandern gar nichts mache, auf dieses Urlaubsziel kam, weiß ich auh nicht.


Das wichtigste Erlebnis während dieses Urlaubs war die Nachricht, dass ich die Aufnahmeprüfung für die Sprachenschule bestanden hatte und wenige Wochen später die Ausbildung zur Übersetzerin anfangen würde. Erzählen möchte ich aber etwas ganz anderes.


In einer Broschüre mit Ausflugstipps fand ich den Ort Asbach. Meine Omi trank doch immer so gerne den Cognac Asbach Uralt. Den Ort musste ich mir unbedingt ansehen. Ganz allein machte ich mich also auf den Weg den Berg hinunter. Vorbei an einem geifernden Hofhund an einer langen Leine, die bis wenige Zentimeter vor mir reichte und der mich zum Fressen gern hatte. Vorbei an wunderschöner Natur und auch netten wildlebenden Tieren, aber keinem einzigen Menschen.


Am Ende landete ich in Asbach, einem Dorft mit höchstens 20 Häusern und ganz bestimmt keiner Cognac-Fabrik, es gab nicht einmal einen Tante Emma Laden, der an diesem Sonntag sowieso geschlossen gehabt hätte, woran ich gar nicht gedacht hatte.


Ebenfalls übersehen hatte ich, dass ich den Berg ja nun auch wieder rauf zum Hotel musste. Überflüssig zu erwähnen, dass es keine öffentlichen Verkehrsmittel oder Taxis gab. Nicht einmal eine öffentliche Telefonzelle, um eines zu rufen, Handys waren damals noch unbekannt.


Irgendwie habe ich mich aber tapfer zurück gekämpft und es sogar noch vor Einbruch der Dunkelheit geschafft. Eines der wenigen wirklichen Abenteuer meines Lebens.


3. Es muss im Oktober 1998 gewesen sein. Ich wohnte in München, hatte meine Übersetzerprüfung erfolgreich hinter mich gebracht und wartete auf den Beginn der Dolmetscherprüfung im Dezember, ohne wirklich etwas zu tun zu haben.


Schon Wochen vorher hatte ich mich bei einem Übersetzungsbüro in Rendsburg beworben und hoffte so sehr darauf, gerade diese Stelle zu bekommen. Zum Einen hatte ich nach neun Jahren genug von Bayern und zum Anderen klang die neue Aufgabe besonders spannend. Aber die Firma meldete sich nicht.


Zu der Zeit hatte ich ein Zimmer in einem von Nonnen geleiteten Mädchenwohnheim, weil ich mir mit meiner schulischen Ausbildung die Mieten in München nie hätte leisten können. Es gab keine eigenen Telefone auf den Zimmern, sondern nur einen Münzfernsprecher im Erdgeschoss und auf jeder Etage ein Telefon, auf dem man nur angerufen werden konnte, auf dem Flur. Aber ich hatte seit kurzem etwas ganz verrückt, exotisches - ein Handy.


An diesem Nachmittag legte ich mich bäuchlings auf mein Bett und wählte mal wieder die Nummer der Firma, um zu fragen,  ob sie sich entschieden hätten. Und sie hatten, ich konnte zum 01.12. bei ihnen anfangen. Zur Dolmetscherprüfung würde ich dann frei bekommen.


Vor Glück wusste ich gar nicht wohin mit mir selbst, meine Eltern und Lutz waren nicht zu erreichen und es gab niemanden, dem ich es hätte erzählen können. Schnell mal eben ins Internet gehen, um schon mal nach einer Wohnung zu schauen, ging auch nicht, denn logischerweise gab es auch dies in dem Heim noch nicht. Wenn ich ins Internet wollte, musste ich in ein Internetcafé am Hauptbahnhof gehen. 


Irgendwann kamen dann doch endlich Rückrufe und ich konnte die gute Nachricht loswerden.


4. Wie schon an anderer Stelle geschrieben, war ich in der Oberstufe Mitglied des etwas anderen Schulorchesters. Dieses wurde geleitet von einem älteren Lehrer Dr. Blum. Er war eigentlich schon pensioniert, leitete aber immer noch das Orchester, das er ins Leben gerufen hatte. Den sonstigen Musikunterricht gab Herr Rudolf, der auch den Schulchor leitete.


Jeder an der Schule wusste, dass sich Herr Blum und Herr Rudolf gegenseitig nicht ausstehen konnten. Sie trugen gerne ihre Streitigkeiten vor den Schülern aus. Hauptthema war dabei das Repertoire der beiden Gruppen. Herr Rudolf bevorzugte Kirchenmusik mit einfachen Sätzen und Herr Blum klassische Stücke aller Art, die schnell und anspruchsvoll waren. Einem Gerücht zufolge soll sogar einmal die Leiterin eines Hauses, in dem das gemeinsame, halbjährliche Probenwochenende stattfand, ein paar ältere Schüler zu Hilfe gerufen haben, um die beiden bei einer körperlichen Auseinandersetzung zu trennen. Vermutlich war dies aber nur eine Urban Legend, die von Jahrgang zu Jahrgang weitererzählt wurde.


Ungefähr zur Hälfte des Jahres, als ich in der zwölften Klasse war, musste Herr Blum seinen Beruf aus gesundheitlichen Gründen endgültig aufgeben. Herr Rudolf übernahm das Orchester und stellte das Repertoire sofort um. Das hatte niemand anders erwartet und wurde so hingenommen. 


Dann bekam Herr Rudolf aber von der Schulleitung den Auftrag, ein gemeinsames Abschiedskonzert von Chor und Orchester auszurichten. Er tat es, wählte aber offensichtlich mit Bedacht, für beide Gruppen genau die Art von Stücken aus, die Herr Blum immer abgelehnt hatte.


Wir versuchten, ihn dazu zu bringen, etwas anderes auszusuchen, boten sogar an, zusätzliche Proben in Kauf zu nehmen, aber Herr Rudolf blieb stur. Also stimmten wir ab und es stellte sich heraus, dass ausnahmslos alle mit dem Plan einverstanden waren.


Im Vorjahr hatte in ehemaliges Orchestermitglied, Karolin, Abitur gemacht. Sie war schon zu Schulzeiten eine tolle Musikerin gewesen, hatte einen Jugendschein für Dirigenten, spielte Geige und hatte Herrn Blum mehrmals vertreten dürfen. Inzwischen studierte sie am Konservatorium. Auf Anfrage war sie sofort bereit, zu helfen und mit dem Orchester ein Stück zu proben und aufzuführen.


Da wir mit Herrn Blum zuletzt "Eine kleine Nachtmusik" geprobt hatten, fiel die Wahl auf "Eine kleine Lachmusik". Wir probten ein Wochenende im Wohnzimmer der Eltern einer Mitschülerin, in das wir gerade so alle mit unseren Instrumenten passten. Für mehr blieb keine Zeit bis zum Abschiedskonzert.


Herr Rudolf hatte das Programm so aufgestellt, dass zuerst das Orchester sein Stück spielen und dann der Chor sein Stück singen sollte, damit er verschwinden konnte, bevor die Schulleiterin ihre Abschiedsrede hielt. Alle Bitten, das Programm umzustellen, weil die ganze Überraschung verdorben würde, wenn wir nach dem Chor erst alles wieder hätten aufbauen müssen, stießen auf taube Ohren. Also griffen wir erneut zur Selbthilfe.


Das Konzert begann. Wir spielten das von Herrn Rudolf gewählte Stück fehlerfrei, aber offensichtlich ohne jede Begeisterung. Es wurde brav aber ohne Enthusiasmus geklatscht und dann sollten wir die Bühne verlassen, um Platz für den Chor zu machen. Aber wir blieben sitzen. Herr Rudolf tobte und wütete, aber es nutzte nichts. Dann versuchte er, den Chor auf die Bühne zu rufen und vor dem Orchester aufzustellen, aber die waren eingeweiht und weigerten sich. 


Schließlich kam Karolin auf die Bühne, ruhig und gelassen begann sie mit Herrn Rudolf zu sprechen, der weiter tobte. Am Ende verließ er aber doch die Bühne, nicht ohne in alle Richtungen mörderische Blicke zu verteilen. Dann trat Karolin an den Bühnenrand, verneigte sich vor Herrn Blum, der im Publikum in der ersten Reihe saß und wir begannen zu spielen.


Als das Stück zu Ende war, war es einen Moment völlig still in der Aula. Dann hörte man ein rhythmisches Klatschen. Herr Blum war von seinem Platz aufgestanden und applaudierte mit hoch erhobenen Händen. Nach und nach folgte das ganze Publikum, bis am Ende alle standen. Herr Blum kam auf die Bühne, umarmte Karolin und ging dann zu jedem einzelnen Orchestermitglied und gab ihm zum Dank die Hand.


Das ist der bewegendste Augenblick in meinem Leben.


English: https://www-krimi4mimi-de.translate.goog/erlebnisse-28-08-2023.html?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=en&_x_tr_hl=en&_x_tr_pto=nui

Francais: https://www-krimi4mimi-de.translate.goog/erlebnisse-28-08-2023.html?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=fr&_x_tr_hl=en&_x_tr_pto=nui

Portuguez: https://www-krimi4mimi-de.translate.goog/erlebnisse-28-08-2023.html?_x_tr_sl=auto&_x_tr_tl=pt&_x_tr_hl=en&_x_tr_pto=nui