"Edgar, heute nacht möchte ich tanzen."

"Prinzessin, sie wissen doch, morgen haben wir einen vollen Terminkalender..."

"Jetzt lassen sie schon die Prinzessin weg. Ich bin Amanda."

"Aber Prinzessin..."

"Können sie denn nicht einmal locker sein? Wir sind hier in Paris. Das ist die Stadt der Liebe. Und ich muss mich morgen mit dem alten Grafen über - was war es noch gleich? Die schwierigen Außenhandelsbeziehungen zu Griechenland unterhalten. Ich will leben. Ich will etwas von der Stadt sehen. Kommen sie Edgar, wir haben doch nur diese eine Nacht."

Ohne eine Antwort abzuwarten begann Amanda in ihrem Kleiderschrank zu wühlen. Edgar sah ihr mit gemischten Gefühlen zu. Auf der einen Seite konnte er sie ja verstehen. Prinzessin hin, Thronfolgerin her. Schließlich war sie doch auch nur eine Siebzehnjährige, mit den normalen Wünschen und Bedürfnissen eines jungen Mädchens. In sieben Wochen, an ihrem achtzehnten Geburtstag, würde sie die Regierungsgeschäfte ihres Landes übernehmen müssen, viel zu früh nach dem tragischen Unfalltod des Vaters drei Jahre zuvor. Sollte er ihr wirklich diese vielleicht letzte Chance nehmen, noch einmal ein ganz normaler Teenager zu sein?

"Verdammt, ich habe nichts anzuziehen."

"Wütend warf Amanda eines der biederen Kostüme und Kleider, die sie zu den offiziellen Empfängen tragen sollte, nach dem anderen auf das Bett.

"In diesen Fummeln kann ich mich doch nicht sehen lassen! Was tragen die Mädchen hierzulande, Edgar?"

Er dachte an seine Nichte Yvonne, eine Punkerin in löcherigen Jeans und T-Shirts. Oder die Nachbarstochter in ihren knallengen Miniröcken. Sie brauchten etwas raffiniertes, mit dem sie aber zur Not auch ein Reporter von der Regenbogenpresse erwischen konnte. Kurzentschlossen griff er zum Telefon.

"Empfang? Hier ist das Penthouse. Bringen sie uns bitte..."

...

Eine Stunde später hielt ein Taxi vor der Bar 'Amoureuse'. Amanda hatte darauf bestanden, ihren eigenen Chauffeur zu Hause zu lassen. Sie wollte kein Aufsehen, nur ein Mädchen von vielen.

Edgar sprang aus dem Wagen und hielt ihr die Tür auf.

"So geht das nicht, Edgar! Sie dürfen hier nicht den Leibwächter spielen. Wissen sie was? Sie sind jetzt einfach mein Freund, und wir gehen zusammen aus. Nennen sie mich Mandy."

"Aber Prinzessin..."
"Wagen sie es nicht, ihrer zukünftigen Herrscherin zu widersprechen, sonst nenne ich sie ab sofort Eddie, das ist scheußlich."

Sie legte ihren Arm um seine Mitte und zog ihn mit sich zum Eingang der Bar. Einen Moment fragte er sich, ob sie das nicht schon öfter gemacht hatte, so selbstsicher wie sie sich gab. Die Bar war proppenvoll. Sie hatten Mühe, noch einen freien Tisch zu finden. Offensichtlich erkannte sie niemand, obwohl Amandas Bild seit Tagen die Titelseiten aller Zeitschriften zierte. 

Aber das hier war auch nicht mehr dasselbe Mädchen, das noch am Morgen mit dem französischen Staatschef über die zukünftigen Beziehungen zwischen ihren Ländern verhandelt hatte. Dies war nicht mehr die graue Maus im graubraunen Seidenkostüm, der Rock züchtig bis zehn Zentimeter unter das Knie.

Sexy sah sie aus, verdammt sexy, wie sie sich hin und herdrehte, mit allen Sinnen aufnahm, was um sie herum geschah. Was hatten sie ihr nur angetan? Siebzehn Jahre eingesperrt in diesem Palast, ohne Kontakt zu Gleichaltrigen. Das Leben kannte sie doch höchstens aus dem Fernsehen.

"Edgar, lassen sie uns tanzen."

Sie strahlte ihn an, und in diesem Moment wurde ihm klar, dass er mehr für sie empfand, als es in seinem Beruf gut war.

"Prin... Mandy, das geht nicht. Sehen sie, die Paare tanzen alle engumschlungen. Das kann ich nicht machen. Wenn das ihr Vormund erfährt!"

"Wie sollte er es denn erfahren? Und wenn schon? In sieben Wochen kann mir keiner mehr etwas vorschreiben, auch Onkel Kuno nicht. Und jetzt will ich tanzen, Edgar."

Sie sprang von ihrem Stuhl auf und zog ihm am Arm. Gegen seinen Willen folgte er ihr auf die Tanzfläche. Sie spielten gerade einen dieser langsamen Chansons, die nie ein Ende zu nehmen scheinen. Wie im Trance ließ er sich zwischen den anderen Paaren bis in die Mitte des Saales führen. 

"Sehen sie Edgar, so wird es gemacht." 

Resolut nahm sie seine Arme, und legte sie um sich. Er ließ es geschehen, konnte sich weder wehren, noch selber tun, was sie von ihm erwartete. Das Lied ging weiter und weiter und sie tanzten, so als würde es keinen neuen Morgen mehr für sie geben.

... 

"Königliche Hoheit, was wird sich ändern, jetzt wo sie die Regierungsgeschäfte übernommen haben?"

Sieben Wochen waren vergangen. Edgar stand mit den anderen Ministern im Hintergrund des großen Festsaales, in dem Amanda heute ihre erste Pressekonferenz als Regentin gab. Seit Paris war viel geschehen. Er dachte an die Nacht, die auch für ihn immer unvergesslich bleiben würde. Amanda hatte darauf bestanden, dass er zuerst ihr persönlicher Leibwächter wurde. Nun, da sie die Macht übernommen hatte, sollte er der Chef ihres persönlichen Sicherheitsstabes werden. Das war nicht viel. Aber es war alles, was er jetzt noch erwarten konnte. Schließlich war sie jetzt die Königin. Was sollte sie da noch von ihm wollen?

Er sah zu ihr hin, wie sie am Rednerpult stand, den Kopf stolz erhoben, in einem weinroten Kleid. Noch nie in der Geschichte des Landes hatte eine Königin so etwas in der Öffentlichkeit getragen.

"Vieles wird sich ändern, meine Damen und Herren. Es wird Zeit, dass sich unser Land modernisiert."

"Sie sind noch sehr jung, Hoheit. Glauben sie, dass sie den großen Aufgaben gewachsen sind, die nun auf sie zukommen?"

Edgar sah, wie sie einen Moment den Kopf wandte. Hatte sie nach ihm sehen wollen?

"Ich habe in den letzten Wochen gelernt, dass es keine Herausforderung gibt, der ich mich nicht stellen kann. Ich kenne meinen Weg, und ich werde ihn gehen."

 

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