Es ist dunkel. Es regnet. Es ist schon spät. Blödsinn, denke ich, um diese Zeit würde ich doch nie alleine durch einen einsamen Park gehen. Aber man handelt eben nicht immer rational.

Wie gesagt, es ist dunkel, bestimmt schon nach Mitternacht. Und als wäre das nicht schon genug, ist mir der Park durch den ich gehe vollkommen fremd. Wohin will ich? Was mache ich hier? Wie bin ich überhaupt hierher gekommen? Plötzlich höre ich Schritte hinter mir.
Schwere, dumpfe Schritte, wie von Stiefeln. Blödsinn, denke ich, wer trägt denn im Spätsommer solche dicken Treter? Aber man denkt eben auch nicht immer rational.
Ich wundere mich über mich selbst, wie ruhig ich bleibe, während die Schritte immer näher kommen. Anstatt meinen eigenen Gang zu beschleunigen, überlege ich ganz kalt, wer mein Verfolger sein könnte. Ein Sittenstrolch? Ein Frauenmörder? Ein harmloser Spaziergänger? Nach einer Biegung erkenne ich weit vor mir den Schein einer Straßenlaterne, darunter den Eingang zum Park, Autos, die auf einer Straße vorbeifahren. Endlich renne ich los. Ich wusste gar nicht, dass ich so schnell rennen kann. Doch auch die Schritte hinter mir werden schneller, kommen näher und näher. Ich spüre eine Hand auf meiner Schulter, stolpere und falle.
Schweißgebadet erwache ich aus diesem Alptraum. Ich liege in meinem Hotelbett, wieder eine fremde Stadt. Als Dolmetscherin komme ich viel herum. Seit Wochen lebe ich nur aus dem Koffer. Ob daher diese Träume kommen? Ein Blick auf meinen Wecker sagt mir, dass es ohnehin fast Zeit ist aufzustehen. Heute noch, dann habe ich endlich ein paar Tage frei.
"Du siehst mies aus," sagt meine Kollegin Sigrid. "Hast Du wieder schlecht geschlafen?" Ich nicke. Lange halte ich das nicht mehr durch.
"Du solltest mal richtig Urlaub machen," meint Sigrid. "Fahr ein paar Tage weg. An die See vielleicht." 
Schaudernd schüttle ich den Kopf. Ein unbekannter Ort ist genau das, was ich im Moment am wenigsten gebrauchen kann. Heute mittag ist die Konferenz vorbei, dann fahre ich nach Hause. In den gewohnten vier Wänden wird es schon besser werden.
Irgendwie bringe ich auch diesen Tag zu Ende. Das Gepäck ist schon im Kofferraum verstaut, ich kann sofort los. Am späten Nachmittag erreiche ich meine Wohnung. Die Luft ist stickig, seit vier Wochen war niemand hier, um mal zu lüften.
Meinen Koffer werfe ich auf das Bett. Jetzt noch ein Fertiggericht, ein heißes Bad, ein bisschen Fernsehen. Aufatmend öffne ich die Tiefkühltruhe. Ein fürchterlicher Gestank schlägt mir entgegen. Das Ding ist kaputt, alle Lebensmittel sind aufgetaut und vergammelt. Was nun? Seit Tagen habe ich zum ersten Mal wieder richtig Hunger.
Mein Blick fällt auf die Post und Werbesendungen, die meine Nachbarin mir in die Wohnung legt, wenn ich nicht da bin. Da ist auch ein Faltblatt von einem neuen Delikatessengeschäft dabei, das vorige Woche ganz in der Nähe eröffnet hat. Öffnungszeiten bis achtzehn Uhr. Wenn ich mich beeile, schaffe ich es gerade noch. Es ist nicht weit, nur schnell durch den kleinen Park gegenüber.
Park? Einen Moment wundere ich mich über mich selbst. Wie könnte ich denn durch einen Park gehen. Seit einer Woche träume ich jede Nacht davon, in einem Park überfallen zu werden. Aber verdammt noch mal, es ist doch bloß ein Traum.

Ich greife nach einer Einkaufstasche und meinem Portemonnaie. Der Spaziergang wird mir guttun. Und überhaupt, die Sonne scheint, es ist noch nicht einmal achtzehn Uhr, draußen ist es noch hell und die Gegend kenne ich wie meine Westentasche. In bester Laune erreiche ich das Geschäft. Das Angebot ist wirklich großartig, ich kaufe viel mehr, als ich für diesen Abend brauche.
Vergnügt mache ich mich mit meinen Einkäufen auf den Heimweg.
"Hallo Tanja! Wir haben uns ja lange nicht gesehen."
Britta und ich kennen uns noch aus der Schule. Früher waren wir gute Freundinnen, aber seit ich ständig auf Achse bin, haben wir uns ziemlich aus den Augen verloren. Ich freue mich, endlich mal wieder ein bekanntes Gesicht.
"Komm doch mit, ich wohne hier gleich um die Ecke, bin erst letzte Woche umgezogen. Ich wollte Dich schon die ganze Zeit mal besuchen, aber Du warst nie da." 
Wir gehen zu ihr. Es ist wie in alten Zeiten, so vieles ist passiert. Gemeinsam machen wir uns über Delikatessen und Wein her. Schließlich ist nur noch eine Flasche über und ich habe einen gehörigen Schwips.
"Soll ich Dich schnell nach Hause fahren?", fragt Britta.
"Quatsch, durch den Park brauche ich doch nur zehn Minuten, und Du solltest jetzt auch nicht mehr Auto fahren." 

Ich schnappe meine Einkaufstasche mit den Resten und mache mich auf den Weg. Mir geht es richtig gut. Der Park ist dunkel, nur vereinzelt gibt es eine Laterne. Aber ich kenne den Weg ja. Zum Teufel mit den Alpträumen.
Mist, habe ich jetzt die Weggabelung übersehen? Bei der alten Eiche muss ich nach rechts. Aber bei dieser Dunkelheit sehen alle Bäume gleich aus. Nun gut, zur Not komme ich eben am Schwimmbad raus, das ist nur ein kleiner Umweg. Ein Regentropfen fällt auf meinen nackten Arm, ich habe gar nicht gemerkt, wie die Gewitterwolken aufgezogen sind. In der Ferne höre ich Donnergrollen, und schon geht ein typischer Platzregen nieder.
Die Angst kommt zurück. Verdammt, wie konnte ich so unvorsichtig sein. Um diese Zeit würde ich doch nie alleine durch einen einsamen Park gehen. Aber man handelt eben nicht immer rational.
Und wie im Traum höre ich jetzt Schritte hinter mir, die langsam näherkommen. Aber ich bin nicht so dumm wie in meinem Traum, sofort fange ich an zu rennen. Auch die Schritte hinter mir werden schneller. Da, ich sehe die Straßenlaterne, den Eingang zum Park. Ich muss es schaffen, ich muss ganz einfach. In Wirklichkeit habe ich doch einen viel größeren Vorsprung. 
Keuchend haste ich auf die Lichtquelle zu, aber wie im Traum kommen die Schritte immer näher, immer näher. Schon höre ich hinter mir ein Keuchen, dann fühle ich, wie eine Hand meine Schulter berührt. Wie im Traum stolpere ich, doch im Fallen reiße ich die Einkaufstasche mit der Weinflasche hoch und schleudere sie dorthin, wo ich den Kopf des Angreifers vermute. Getroffen. Ich höre einen dumpfen Aufprall, rappele mich hoch und renne weiter. Irgendwo da vorne muss eine Telefonzelle sein, von der ich die Polizei rufen kann.

 

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