"Pusselchen, ja wo ist denn mein kleines Mäusilein?"
Seufzend sah sich Petra noch einmal im Wohnzimmer um. Sie hasste die Freitage, denn dann kam Egon von seiner Vertreterrunde zurück. Hatte sie auch nichts vergessen? Nein. Die Pop-CDs lagen gut versteckt unter dem doppelten Boden im Kleiderschrank, ebenso wie die Garderobe, die sie trug, wenn sie allein war und keine Gefahr bestand, dass Erna aufkreuzte. Petras Schwiegermutter war genau so ein Ekel wie ihr einziger Sohn.
"Schätzchen, schau mal, was ich dir mitgebracht habe!"
Sie setzte ihr Egon-Lächeln auf und trat in den Flur. Ein letztes mal. Nur noch dieses eine Wochenende. Dann würde alles vorbei sein.
"Sehen sie, Herr Dittmer, das ist mein kleines Pummelchen. Habe ich ihnen zu viel versprochen?"
Verlegen gab ihr der unbekannte junge Mann die Hand.
"Bitte entschuldigen sie, dass ich einfach so mitgekommen bin. Ihr Mann war so nett, mich zum Abendessen einzuladen."
"Aber aber, junger Freund, sie brauchen sich doch nicht zu entschuldigen. Man möchte einen neuen Kollegen doch gerne kennen lernen. Mein Häschen ist eine wahre Perle in der Küche, nicht wahr mein Mausezähnchen? Sie kann im Handumdrehen aus zwei Portionen drei machen. Stimmt doch, mein Veilchen?"
Petra nickte, was sollte sie auch anderes tun. Egal. Dieser eine Abend noch, dann wäre sie ihn los. Der Plan war idiotensicher. Niemand würde verdacht schöpfen. In ein paar Wochen schon konnte sie sich mit dem Geld aus der Lebensversicherung für alles entschädigen, irgendwo, weit weg von diesem Haus, Erna und all den bösen Erinnerungen. Sie musste nur zusehen, dass sie Dittmer schnell los wurde.
"Kommen Sie doch mit ins Wohnzimmer. Ich mixe uns einen Drink, während meine Frau in der Küche zu tun hat."
Durch die Durchreiche hörte sie Egon weiter plappern. Dittmer ließ nur gelegentlich ein 'Ach ja' oder 'Nein wirklich' hören.
"Ach ich muss ihnen unbedingt zeigen, was mein kleines Dummerchen für ein Talent hat."
Im Geiste sah sie, wie Egon die Schublade zum Wohnzimmerschrank aufzog und nacheinander die Kreuzstichdeckchen hervorholte. Grimmig zog sie das große Fleischmesser aus dem Block und begann die vorbereiteten Schnitzel zu zerkleinern. Dann würde es eben geschnetzeltes geben. Als Vorspeise Geschnetzeltes vom Schwein, als Nachspeise Geschnetzeltes vom Egon. Als wenn es da einen Unterschied gäbe. 
"Sehen sie, wie sauber mein kleines Trinchen arbeiten kann. Haben sie schon mal so eine wunderschöne Arbeit gesehen? Ja, mit der Nadel versteht sie wirklich umzugehen. Ansonsten ist sie handwerklich natürlich vollkommen unfähig. Ein richtiger Trampel. Von Technik nicht die leiseste Ahnung. Stellen Sie sich mal vor, neulich kam ich von meiner Tour zurück, und da hatte sie doch während meiner Abwesenheit tatsächlich versucht ein Bild aufzuhängen. Selbst dazu war sie noch zu ungeschickt. Der Nagel saß ganz schief in der Wand, nur wenige Millimeter von einer elektrischen Leitung." 

Im Geiste sah Petra die Szene vor sich. Das war der erste Versuch. Sie war sich so sicher gewesen, dass Egon es so eilig haben würde ihr zu zeigen, wie man es richtig machte, dass er den Nagel ohne nachzudenken gleich neben dem Loch noch einmal ein. Leider hatte sie ihn unterschätzt.
"Ja, Technik ist halt immer noch Männersache!", tönte Egon nun weiter.
"Frauen gehören an den Herd und vielleicht noch ins Bett, aber sonst sind sie doch zu nichts zu gebrauchen. Ich sage Ihnen Dittmer, ich bin wirklich froh, dass mir der liebe Gott ein Schwänzchen geschenkt hat." 
Grölend lachte er über seinen eigenen Witz. Von Dittmer war kein Ton mehr zu hören.
"Hier im Haus habe ich alles selber renoviert. Als mein Vater starb, sind wir zu Muttchen gezogen. Alleine wäre sie ja nie fertig geworden. Aber mein Alter war ja auch nicht besser. Alles völlig verrottet. Drei Jahre habe ich jedes Wochenende geschuftet. Aber jetzt bin ich so gut wie fertig. Diesmal muss ich mir nur noch die Besenkammer vornehmen. Mein Speckschwärtchen soll genau so ein schönes Regalsystem bekommen, wie die Frau von unserem Nachbarn. Echt nett von Ihnen, dass Sie mir helfen wollen, die Bretter ins Haus zu tragen. Aber dafür bekommen Sie auch etwas besonders gutes vorgesetzt. Plumpsack, was macht denn das Fressi für den Papi?"

Petras Hände krallten sich um die Kante der Arbeitsfläche. Bloß jetzt keine Schwäche zeigen. Diesen Besucher hatte ihr doch der Himmel geschickt. Er würde zur Not bezeugen können, dass sie ihrem Egon treu ergeben gewesen war. Wie hätte sie es sonst auch mit ihm aushalten können. Eine oder zwei Stunden würde sie ihre Rolle schon noch spielen können. Hastig nahm sie die Schürze vom Haken, die Egon ihr letzte Weihnachten geschenkt hatte. Ein letztes Mal konnte sie ruhig noch das Servierfräulein spielen.
Mit zusammengebissenen Zähnen brachte sie das Abendessen hinter sich. Egon bestritt die Unterhaltung alleine. Petra bemerkte die mitleidigen Blicke, die Dittmer ihr gelegentlich zuwarf, und sie erwiderte jeden mit einem strahlenden Lächeln und einem Nicken. Endlich machte sich Dittmer auf den Heimweg.
"Alte, was war denn das für ein Fraß, den du unserem Gast da vorgesetzt hast?"
Von einer Minute zur anderen war Egon wie verwandelt. Zorn blitzte in seinen Augen. Unwillkürlich wich Petra zurück. Wie mochte die Tour verlaufen sein? Hatte er sein Soll erfüllt, oder würde er seinen Frust über die vermasselte Quote jetzt an ihr auslassen?
Aber offenbar hatte Egon heute keine Lust, sie zu verprügeln. Mit einigen gemurmelten Verwünschungen zog er sich in seine Werkstatt zurück Wenn er dort noch bis tief in die Nacht arbeitete, konnte ihn außer ihr niemand hören. Und wen interessierte es schon, ob sie bei dem Lärm schlafen konnte? Aber heute war es egal. Diesmal würde er sein kleines Reich nicht mehr verlassen. Dafür hatte sie gesorgt.
Zufrieden dachte Petra an das Buch im doppelten Boden des Kleiderschrankes. "Kleine Reparaturen im Haushalt". Egon mochte Frauen und ganz besonders sie selbst für zu dumm halten, einen Nagel in die Wand zu schlagen. Aber immerhin war sie dahintergekommen, wie man all die schönen Anleitungen umkehren und aus heilen Geräten und Werkzeugen gefährliche Waffen machen konnte, und das so, dass niemand an etwas anderes als einen technischen Fehler glauben würde. Sie hatte sie alle ausprobiert, ohne Ausnahme. Diesmal konnte nichts mehr schief gehen.

Zufrieden löschte Petra das Licht und wartete darauf, dass es Zeit wurde nachzusehen, warum ihr Mann in dieser Nacht nicht ins Ehebett gekommen war. 

 

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