"Sagen Sie mal, worauf warten wir hier eigentlich`?"

Mit Mühe quetschte ich mich auf das letzte freie Stück der hintersten Bank und sah meinen Nachbarn neugierig an.

"Ja haben Sie es denn nicht gehört? Der große Santobil ist von seiner Weltreise zurückgekehrt und wird heute abend eine Kostprobe seines großartigen Könnens geben!"

"Ach ja? Und worin besteht dieses Können?"

Der Kopf meines Nachbarn wackelte vor Empörung so stark, dass sein riesiger Zauberhut, der ihn als Großmeister seines Faches auswies, beinahe herunterfiel.

"Wenn Sie noch nie vom großen Santobil gehört haben, was wollen Sie dann hier? Sie nehmen anderen, die seine Künste zu schätzen wissen, nur unnötig den Platz weg!"

"Verzeihen Sie, aber ich bin hier nur die Putzfrau, und dies ist meine Mittagspause."

Gerade wollte er zu einer empörten Erwiderung ansetzen, da gingen die Lichter im Saal aus, so dass nur die Bühne in einen magischen Schein gehüllt war und aus den Tiefen des Kulissenraumes dröhnte eine Stimme "Santo-Sabilli".

Die Menschen im Saal erhoben sich in aller Eile und erzeugten mit ihren Zauberstäben klatschende Hände und Wunderkerzen, die in irrwitziger Geschwindigkeit durch den Raum sausten.

Das kleine Männchen, das bei dem Ausruf auf der Bühne erschienen war, nahm die Huldigung mit einem gnädigen Kopfnicken entgegen und befahl mit einer unwirschen Handbewegung Ruhe. Das Publikum setzte sich. Nur in der ersten Reihe blieb eine einzige Hexe stehen. Ein Raunen ging durch die Menge, als sich der große Santobil der Hexe näherte.

"Nun, Gevatterin Rumpumpel? Haben Sie mir etwas zu sagen? Dann tun Sie es gleich, sonst halten Sie mich nicht länger von meiner Vorführung ab."

"Gevatter Santobil, ich bin heute hierher gekommen, um Ihre Künste als das zu entlarven, was sie immer waren. Lug und Betrug nenne ich das, was Sie in Ihren Vorstellungen vorführen."

Santobils Gesicht verzog sich zu einem hämischen Grinsen.

"Und haben Sie dafür auch Beweise, Gevatterin Rumpumpel?"

"Ich hatte eine Zeugin. Sie erinnern sich doch an meine Vetterin, die Hexe Gonzales? Sieben Jahre war sie Ihre Assistentin, bevor Sie sie in ein Kaninchen verwandelten, und nicht einmal dafür den richtigen Gegenzauber kannten."

"Nun, als Kaninchen wird sie Ihre Aussage hier wohl kaum bestätigen können. Ist hier irgendjemand im Raum, der den Unsinn glaubt, den dieses Hexenweib von sich gibt?"

Wieder sprang die Menge auf, Buhrufe ertönten, und aus allen Zauberstäben flogen faule Eier und Tomaten, die eine nach der anderen am Umhang der Hexe Rumpumpel zerplatzten.

"Aber, aber, meine verehrten Freunde, wer wird denn gleich so böse werden," zischte der große Santobil genüsslich. Jetzt werde ich Sie aber auch nicht länger warten lassen. Für meine Vorstellung brauche ich eine Freiwillige als Assistentin, wie Sie gehört haben, hatte die letzte einen bedauerlichen Unfall. Rumpumpel, wie wäre es mit ihnen?"

Die Hexe versuchte zu entkommen, doch das aufgebrachte Publikum gab ihr keine Chance. Mit Magie und körperlicher Gewalt wurde sie auf die Bühne verfrachtet. Der große Santobil wedelte dreimal mit seinem Zauberstab und murmelte ein paar unverständliche Formeln, und um die Rumpumpel schloss sich ein Käfig, wie gemacht für ein Kaninchen.

"Natürlich entspricht diese lächerliche Spielerei nicht im Mindesten meinen wahren Fähigkeiten", tönte der große Santobil, dessen Stimme jetzt dreimal so viel Kraft besaß wie zuvor. "Aber um meiner alten Freundin einen Gefallen zu tun, werde ich meine Vorstellung mit diesem albernen Trick beginnen."

Das Publikum lachte unterdrückt und starrte gebannt auf die Bühne. Der große Santobil breitete ein großes Tuch über den Käfig, schwang seinen Zauberstab und murmelte weitere Formeln. Die Menge im Saal hielt den Atem an. Santobils Zauberstab produzierte eine ganze Wolke Funken. Endlich zog er das Tuch vom Käfig.

Die Menge tobte. Aus der Hexe Rumpumpel war ein stummes Kaninchen geworden, das mümmelnd und zitternd in einer Ecke seiner Behausung saß. Der große Santobil beugte sich mit einer herablassenden Geste zu ihr herunter, nahm ihren Zauberhut und strich ihr ein paar Mal gnädig über den Kaninchenkopf.

"So meine Alte, und jetzt werde ich beweisen, wer hier ein Lügner und Betrüger ist."

Mit diesen Worten breitete er erneut das Tuch über den Käfig und begann, den Zauberstab zu schwenken und unverständliche Formeln zu murmeln. Dann plötzlich richtete er sich zu seiner vollen Größe auf und schrie mit donnernder Stimme "Litobnas". Er zog das Tuch von dem Käfig, und da saß immer noch das Kaninchen, mümmelnd und zitternd.

Das Gesicht des großen Santobil nahm eine ungesunde Farbe an. Die Menge begann unruhig zu werden.

"Aber verehrte Freunde, das war doch nur ein Scherz meinerseits, wir wollen unsere liebe Rumpumpel doch noch ein bisschen auf die Folter spannen."

Und wieder legte er das Tuch über den Käfig und begann mit seiner Prozedur. "Bilotnas!" Doch abermals blieb das Kaninchen in seiner Behausung sitzen.

Fünf Minuten später war der Saal endlich leer, und ich konnte mit meiner Arbeit fortfahren, während die aufgebrachte Menge den Scharlatan Santobil durch die Gassen des Städtchens jagte. Ich schulterte Wischmob und Feudel und begab mich auf die Bühne, um erst einmal die gröbsten Blutspuren zu beseitigen. Im Käfig saß immer noch das Kaninchen Rumpumpel. Mitleidig beugte ich mich zu ihr herunter. Vielleicht könnte ich sie ja zu mir nehmen, wenn der große Santobil nicht zurückkommen sollte. Vor Jammer liefen mir ein paar Tränen die Wangen hinunter, und da ich kein Taschentuch hatte, wischte ich sie kurzerhand mit dem Feudel ab, der dabei über dem Käfig hin und her wedelte. Wie hatte noch die Zauberformel gelautet, die die Verwandlung hätte umkehren sollen? "Litobnas, Bilotnas, Binotlas, Tisabnol", murmelte ich vor mich hin, während mir das Kaninchen mit ängstlichen Augen zusah. Und dann endlich begriff ich. "Libotnas", schrie ich, und erkannte, wer wirklich der größte Zauberer aller Zeiten war.

 

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