Der Schlüssel klirrt im Schloss. Mühsam hieve ich mich auf die Beine, endlich ist Herrchen wieder da. Schwanzwedelnd folge ich Frauchen zur Tür.

"Gibt es etwas Neues?" Ihre Stimme klingt aufgeregt, wie letzte Nacht, als Herrchen plötzlich fort musste. Er schüttelt den Kopf.

"Wir haben den halben Wald durchkämmt, aber keine Spur von der Kleinen. Irgendwo muss sie doch sein, aber die Hunde können einfach keine Fährte finden."

"Wuff?", mache ich und sehe ihn fragend an. Er beugt sich zu mir herunter und streicht mir über den Kopf.

"Ja, mein Alter. Du hättest sie natürlich längst gefunden, stimmts? Verdammte Arthritis, aber irgendwann muss auch der beste Spürhund in Pension."

Im Stehen schlingt er ein halbes Wurstbrot herunter und wirft den Rest in mein Futternapf. Ist er denn noch zu retten? Wir haben einen Einsatz! Ein Kind wird vermisst. Wie könnte ich da an Fressen denken? Ich schubse ihm mit der Schnauze in die Kniekehle.

"Jetzt nicht, Harras, ich muss gleich wieder los." Schon greift er nach der Jacke und will wieder gehen.

"Nimmst du Asta?" Er nickt. Asta? Das ist doch die neue im Team, die immer noch nicht richtig begreift, was man von ihr will.

"Wuff", mache ich wieder, als sich die Tür hinter Herrchen schließt. Frauchen hockt sich neben mich, sie sieht genau so traurig aus, wie ich jetzt bin.

"Das ist nicht schön, wenn man plötzlich nicht mehr gebraucht wird, stimmts?"

Ich laufe, so schnell es meine müden Knochen erlauben zur Tür und sehe sie fragend an. Wenigstens sie sollte doch verstehen, was ich ihr sagen will.

"Willst du noch mal raus? Vielleicht ist das gar keine so schlechte Idee!"

Sie zieht ihre Jacke an und nimmt mich an die Leine. Ich ziehe sie hinter mir her in den Wald. Mein Instinkt sagt mir, wohin wir gehen müssen, auch wenn ich das kleine Mädchen nie gerochen habe. Der Junge war auch dort, damals, als ich gerade erst zur Hundestaffel gekommen war.

"Wo willst du denn hin? Das ist doch gar nicht unser Abendspazierweg."

Sie versucht mich zurückzuhalten. Warum? Sie muss doch begreifen, dass ich jetzt meine Pflicht tun muss. Wir kämpfen uns durch das Unterholz. Der Weg ist beschwerlich, und mein Rücken tut mir weh, aber ich kämpfe mich weiter vor, ignoriere ihr Schimpfen. Wir sind jetzt schon weit in den Wald hinein, viel weiter, als ich seit langem gegangen bin. Frauchen ist still geworden, hat sie endlich begriffen?

Ich bin mir nicht mehr sicher, wie es jetzt weiter geht. Ratlos schnüffele ich den Boden ab, und plötzlich ist da ein Geruch, der mich an etwas erinnert. Hier muss vor kurzem ein Mensch vorbei gekommen sein. Ohne auf meine Schmerzen zu achten, stürme ich weiter, folge der Spur, belle alle Paar Schritte aufgeregt, so wie ich es bei jedem Einsatz gemacht habe. Und endlich versteht sie.

"Such Harras, guter Hund!"

Sie hat die Taschenlampe eingeschaltet, die sie immer bei sich hat. Genau wie Herrchen. Ich bin wieder im Dienst, jawohl! Das Dickicht lichtet sich, hier kenne ich mich wieder aus, auch wenn wir sonst aus einer anderen Richtung gekommen sind. Vor uns liegt der kleine Waldsee. Ich folge der Spur bis ans Ufer, dann ist sie plötzlich verschwunden. Ein Weilchen laufe ich noch aufgeregt hin und her, dann setze ich mich und stoße das traurigste Heulen aus, das ich hinbekomme.

"Nein!", Frauchens Stimme klingt genau so verzweifelt, wie ich bin. "So darf das nicht enden. Sie muss hier doch irgendwo sein!"

Sie leuchtet mit ihrer Taschenlampe die Oberfläche des Sees ab, aber vergebens.

"Sarah!", ruft sie, wieder und wieder. Aber alles ist still. Ich sitze da und lausche, nehme alle Gerüche in mich auf. Da ist etwas, das mir bekannt vorkommt. Ich wate in das flache Uferwasser, sie merkt es nicht einmal, hat die Leine längst aus der Hand fallen lassen.

Das Wasser ist kalt, und ich bin lange nicht geschwommen, aber ich bin auf der richtigen Spur. Am Ufer, nur ein paar Meter von Frauchen entfernt, erkenne ich etwas im Schilf. Bestimmt ist sie es, sie muss es sein! Endlich habe ich wieder Grund unter den Pfoten, ich kämpfe mich an Land.

Sie liegt bis zum Bauch im See und rührt sich nicht, doch mein Instinkt sagt mir, dass sie lebt. Abwechselnd lecke ich ihr über das Gesicht und belle. Endlich kommt das Licht der Lampe näher. Frauchen nimmt das Kind auf den Arm und trägt es ans Ufer.

"Mama?"

"Sie lebt!"

Na, das hätte ich ihr auch sagen können. Erwartungsvoll sehe ich zu meinem Frauchen auf. Sie wickelt das Mädchen gerade in ihre Jacke und spricht beruhigend auf sie ein.

"Wo ist der Hund?", fragt die Kleine, und endlich bekomme ich das, was mir zusteht. Eine große Streicheleinheit und ein Versprechen, in dem der größte aller Knochen eine wichtige Rolle spielt. Beruhigt höre ich, wie Frauchen Herrchen auf seinem Handy anruft und ihm sagt, wo er uns finden kann. Dann warten wir auf den Rest der Hundestaffel.

 

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