"Verdammt, heute Nacht bist du fällig, du Arschloch!"

Achim Winter feuerte seinen mottenzerfressenen Parka in eine Ecke und warf sich auf das Bett.

"Siehst du, was du mir angetan hast? Selbstgespräche führe ich schon, wie so ein Bekloppter. Aber ich bin nicht bekloppt. Du bist der mit dem Dachschaden. Sonst hättest du nie dieses Testament gemacht."

Achim zog an seiner Zigarette und starrte an die Zimmerdecke.

"Aber das lasse ich nicht mit mir machen, Alter, immerhin bin ich dein Sohn. Eher leg ich dich um und vernichte das Testament, als dass ich zulasse, dass das ganze Geld an den Tierschutzverein geht."

"Tu es nicht!"

Einen Moment lang glaubte Achim an eine Sinnestäuschung. Wer sollte da gesprochen haben?

"Man, jetzt höre ich schon Stimmen. Und das alles nur wegen dir, Alter. Aber glaub nicht, dass du mir ein schlechtes Gewissen machen kannst. Heute Nacht wird dein letztes Stündchen schlagen."

"Sei doch kein Idiot, Junge, sowas geht doch nie gut. Das endet doch bloß wieder im Knast!"

"Was soll denn der Scheiß? Glaubst du, ich bin zu blöd, das Ding zu drehen? Was weißt du denn schon von mir?"

Ein leises Lachen kam aus der Wand hinter Achims Bett.

"Ich hör dir schon eine ganze Weile zu, wenn du dir dein eigenes Leid klagst."

"Wer bist du denn überhaupt? Was geht es dich an, was ich mache? Hat der Alte dich bestochen?"

"Dein Vater hat damit nichts zu tun, Junge. Ich spiel hier zu meinem eigenen Vergnügen den Schutzengel."

"Man, du hast sie doch nicht mehr alle. Schutzengel! Für wie blöd hältst du mich eigentlich?"

"Immerhin redest du doch mit mir, oder? So ein Mord ist doch eine Nummer zu groß für dich. Bisher hast du doch höchstens mal einen kleinen Bruch gemacht oder im Supermarkt eine Schachtel Zigaretten mitgehen lassen."

"Ich mache alles, was sich zu machen lohnt. Und mein Alter hat Millionen auf dem Konto. Sollen die alle in Katzenfraß umgewandelt werden, nur weil ich dem feinen Herrn nicht gut genug bin, ihn zu beerben?"

"Eben. Darum werden sie dich doch im Handumdrehen haben. Wer sonst hätte denn ein Motiv?"

"Das ist alles eine Frage des Alibis."

"Ach, du willst dich mal wieder hinter Dirk verstecken?"

"Hey, woher weißt du von Dirk? Den habe ich aber bestimmt noch nicht erwähnt."

"Ich hab doch gesagt, ich bin dein Schutzengel. Ich weiß alles von dir, glaub mir ruhig!"

Achim warf einen misstrauischen Blick auf die Flasche billigen Fusel, die er auf dem Heimweg gekauft, und aus der er bereits ein paar kräftige Schlucke genommen hatte. Trotzdem, so betrunken konnte er gar nicht sein.

"Dann weißt du auch, dass Dirk mir verblüffend ähnlich sieht. Größe, Figur, Gesicht, Haarfarbe, alles gleich. Wie du siehst, habe ich sogar schon meine Kleider an seinen Standard angepasst."

Er zeigte auf den Parka am Boden, die löchrige Hose und die zerbeulten Treter an seinen Füßen.

"Nachher geb ich Dirk einen Hunni und schicke ihn in die Kneipe. Hier kennt ihn doch keiner. Jeder wird ihn für mich halten, schließlich habe ich seit Wochen jeden Abend dort verbracht. Keiner wird wissen, dass diesmal ein anderer dort war."

"Keiner, außer Dirk natürlich. Was hast du vor mit ihm? Willst du ihn auch umlegen?"

"Warum sollte ich? Er hat mir doch nichts getan. Morgen drücke ich ihm einen Fahrschein nach Rom in die Hand, da wollte er schon immer mal hin. Dazu kriegt er noch ein Trinkgeld, dann ist er glücklich, und ich auch."

"Ich gebe zu, nicht schlecht der Plan. Er hat nur einen kleinen Haken."

"Und der wäre?"

"Du hast immer noch einen Mitwisser."

"Und wer soll das sein?"

"Ich natürlich!"

"Schwachsinn, du bist doch bloß eine Halluzination, die ich habe."

"Sicher?"

"Was solltest du denn sonst sein? Eine Stimme aus der Wand? Wahrscheinlich bin ich sowieso schon unzurechnungsfähig."

Wieder kicherte die Stimme, diesmal in einem hämischen Tonfall, der Achim den Schweiß aus den Poren trieb.

"Aber sicher kannst du nicht sein. Geh doch und leg deinen Alten um. Und dann warte und hoffe, dass die Geisterstimme nicht irgendwann auch einem durchgeknallten Polizisten erscheint."

"Was soll's, dem wird dann doch keiner glauben. War nett, mit dir zu quatschen, aber ich muss jetzt los, hab noch was vor, verstehst du doch, oder?"

Achim zog die Schublade seines Nachttischs heraus und nahm den Revolver und den Vorschuss für Dirk. Die Wand blieb stumm. Erleichtert wollte sich Achim zur Wohnungstür wenden, als ihn ein unerwartetes Geräusch aufschreckte.

"Ey, Schutzengel, was ist los? Du hörst dich ja plötzlich gar nicht mehr gut an!"

Das Röcheln und Stöhnen wurde lauter.

"Jetzt mach kein Scheiß, Engel sterben doch nicht so einfach."

"Hilfe!"

"Man, wo bist du denn? Wie soll ich dir helfen?"

"Wohnung ... oben ... alter Lüftungsschacht ... Herzmedizin ... schnell"

Drei Stufen auf einmal nehmend rannte Achim in das nächste Stockwerk. Die alte, morsche Tür hatte er schnell aufgebrochen.

Der Mann lag am Boden vor einem Loch in der Wand. Auch wenn Achim den Körper nur von hinten sah, erkannte er sofort, wen er vor sich hatte. Noch steckte Leben in dem Alten. Röchelnd und stöhnend wälzte er sich am Boden. Da hatte ihm also das Schicksal die Arbeit abgenommen. Die Aufregung, hier den Schutzengel zu spielen, hatte seinem Vater offensichtlich den letzten Rest gegeben. Alles was er noch tun musste war warten, bis der Alte von alleine abkratzte. Selber Schuld. Genüsslich lehnte sich Achim an die Wand und sah dem Todeskampf seines Vaters zu.

Endlich gelang es Bodo Winter, sich auf den Rücken zu wälzen. Mit vorwurfsvoll flehendem Blick sah er zu seinem Sohn auf.

"Junge, meine Medizin, schnell! Da, in meinem Mantel."

Achim holte das Fläschchen aus der Manteltasche und hielt es hoch, so dass sein Vater es sehen konnte.

"Mach keinen Blödsinn, Junge. Das mit dem Testament habe ich mir doch längst anders überlegt. Der Notar hat schon ein neues aufgesetzt, ich muss es nur noch unterschreiben. Kapierst du, du kannst nur gewinnen, wenn du mir jetzt hilfst."

Zögernd einen Fuß vor den anderen setzend ging Achim zu ihm und reichte ihm das Fläschchen. Bodo Berger nahm einen kräftigen Schluck daraus und wischte sich den Mund ab.

"Dachte ich mir doch, dass du im Ernstfall zu mir halten würdest. Keine Sorge, das ist nur ein kleiner Cognac, mir fehlt weiter nichts."

"Warum hast du das für mich getan?"

"Familientradition!" Murmelte der alte Mafioso und schloss seinen verlorenen Sohn in die Arme.

 

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