„Sag mal, wann hast du denn zuletzt Herrn Gohde  gesehen?“

„Uff, das ist schon länger her. Nach Weihnachten habe ich ihn noch beim Einkaufen getroffen, aber Silvester habe ich ihn schon auf der Straße vermisst. Sonst ist der doch immer der größte Böllerer Warum fragst du?“

„Naja, ist dir das unterste Paket auf dem Stapel für die Tannenbaum-Abfuhr aufgefallen?“

„Ach komm, du nicht auch noch, der Klingebiel hat mich gestern schon darauf angesprochen. Was soll da schon drin sein? Ein Weihnachtsbaum natürlich.“

„Wer packt denn seinen Weihnachtsbaum in Plastiktüten und schnürt den dann noch so zusammen? Das ist doch genau die Silhouette einer Leiche. Die Größe kommt auch genau hin.“

„Ihr alten Klatschweiber. Wenn die die ganze Straße mit Tannennadeln verziert hätten, wäre es auch nicht richtig gewesen. Sei doch froh, dass die so umsichtig waren.“

„Jetzt lass uns doch wenigstens mal nachsehen. Wir brauchen doch nur ein kleines Loch in die Tüte schneiden. Wenn dann Tannennadeln zum Vorschein kommen, hast du deine Ruhe.“

„Wir machen uns doch zum Gespött der ganzen Straße. Geh doch selbst raus und sieh nach.“

„Du sagst doch selbst, der Klingebiel hat auch schon was gesagt. Alle denken das Gleiche, aber keiner tut etwas. Aber wenn dann auffällt, dass der  Gohde weg ist, sind die Weihnachtsbäume verbrannt und der Nachbar mit ihnen. Ich muss etwas unternehmen, das ist Zivilcourage.“

Mit diesen Worten zog ich Schuhe und Jacke an und wollte schon alleine los, aber das konnte mein Lebensgefährte offenbar auch nicht auf sich sitzen lassen, seufzend folgte er mir in Hausweste und Pantoffeln. Mit der Taschenlampe leuchteten wir den Stapel Tannenbäume ab, die die Bewohner unserer Häuserreihe am Ende des Zugangswegs aufgetürmt hatten. Alles war wie am Vormittag, als ich mich im Hellen nicht  getraut hatte, mir die Sache näher anzusehen.

„Jetzt mach schon, sonst kommt noch jemand.“

„Hast du nicht dein Taschenmesser dabei? Ich habe in der Eile gar nicht an eine Schere gedacht.“

„Du bist ja eine schöne Detektivin.“

Aber auf meinen Lebensgefährten war Verlass. Natürlich hatte er  wie immer sein Schweizer Messer in der Hosentasche. Er beugte sich zu dem verschnürten Paket und machte einen schnellen Schnitt. Nichts geschah.

„Also daran, dass der Baum zu sehr nadelt, liegt es offensichtlich nicht. Sonst kämen uns die Nadeln jetzt schon entgegen.“

„Aber auch keine Körperteile, an der Stelle würde ich jetzt eine Hand mit Fingern erwarten.“

„Denk an die Wurstfinger vom Gohde, die passen da doch gar nicht durch. Und bei seinen Gorillaarmen könnte da auch ebenso gut noch die Hand sein. Schneid mal ein bisschen weiter.“

„Wenn du dann endlich ruhig bist…“

Erneut beugte sich Harald zu dem Sack hinunter und durchschnitt das Plastik so schwungvoll, dass es knirschte. Aufgeregt beugte ich mich nun auch selbst hinab und beleuchtete das, was  nun aus dem Schnitt ragte.

„Oh mein Gott, du hattest Recht. Da ist ein Mensch drin.“

„Aber nicht der Gohde, außer er steht auf grellrot lackierte Fingernägel.“

„Und was machen wir jetzt?“

„Na die Polizei rufen.“

„Ich habe befürchtet, dass du das sagst. Schade, dass du hinter mein kleines Missgeschick gekommen bist.“

Dein Missgeschick? Du hast Elvira  Gohde auf dem Gewissen? Was  hat sie dir getan?“

„Zu viele neugierige Fragen gestellt, nachdem ich ihren Alten um die Ecke gebracht hatte. Eigentlich war es ja nur ein Unfall am zweiten Feiertag, er ist unglücklich gefallen und hat sich das Genick gebrochen. Dafür lasse ich mich doch nicht einlochen, nur weil ich ihm vorher eine geknallt habe.“

Harald hatte die Klinge seines Messers gewechselt und starrte mich entschlossen an.

„Und wo ist die Leiche vom Gohde geblieben?“

„Na zwei Straßen weiter war gestern schon Abfuhr. Hätte ich die Elvira nur gleich auch dazugelegt, aber zwei verschnürte Pakete waren mir dann doch zu auffällig.“

Mit diesen Worten wollte sich Harald auf mich stürzen. Gerade noch konnte ich das Kennwort ‚KNUT‘ rufen schon leuchteten Scheinwerfer auf und alles wimmelte von Polizei.

„Vielen Dank noch einmal, Frau List, wenn Sie und Ihre Freundin nicht schon vorgestern misstrauisch geworden wären wegen des komischen Weihnachtsbaumpakets zwei Straßen weiter, wäre Ihr Mann vielleicht ungestraft davon gekommen. Irgendwann hätten alle gedacht, die Gohdes  wären wegen ihrer Steuerschulden abgehauen.“

„Tja“, meinte ich. „Man unterschätze nie die Klatschweiber.“

 

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