Der dunkle Mantel wurde unsanft aus seinem Sommerschlaf gerissen. Er hob seine Kragenspitzen an, drehte verwundert die großen, metallenen Knöpfe hin und her und schlug aufgeregt mit dem Gürtel. Aus dem Zimmer auf der anderen Seite der Schranktür drangen Laute, die er schon lange nicht mehr gehört hatte. Sonst war seine Besitzerin eine ruhige, alte Dame, die nur noch selten ihre vier Wände verließ und kaum jemals Besuch bekam. Jetzt jedoch war sie offensichtlich sehr wütend. 

"Mach dass du fortkommst, du Nichtsnutz. Keinen Cent wirst du von meinem Vermögen bekommen, weder jetzt, noch nach meinem Tod." 
Der Mantel spitzte die Kragenspitzen, die seine Ohren waren, aber außer einem Murmeln hörte er keine Antwort.
"Dann bring mich doch um! Aber dann erfährst du nie, wo ich das Geld versteckt habe."
Wieder Gemurmel. Dem dunklen Mantel wurde es Angst und Bange um seine Besitzerin, wenn er ihr doch nur helfen könnte!
"Nein, bitte nicht!"
Jetzt hörte er dumpfe Schläge und Stöhnen. Wütend rollte der Mantel die Ärmel hoch und runter und schwang mordlüstern die metallene Gürtelschnalle. Wenn sie sich doch nur eines Besseren besinnen würde. Er wusste genau, wo das Geld versteckt war, nämlich unter dem losen Brett am Boden des Schrankes genau unter ihm.
"Das hast du jetzt davon, du geizige alte Schachtel. Ich finde deinen Sparstrumpf schon, glaub nicht, dass ich dich dafür brauche." 
Endlich war die Stimme laut genug, dass der Mantel sie erkennen konnte. Egon, der nichtsnutzige Neffe seiner Besitzerin. Das hätte er sich ja gleich denken können. Egon gab sich nun keine Mühe mehr, leise zu sein. Der Mantel hörte, wie Schubladen aufgerissen, Polstermöbel aufgeschlitzt und Glas zerschlagen wurde. Endlich näherten sich schwere Schritte dem Schrank. Der Mantel machte sich bereit.

"Was mag hie nur passiert sein?", nachdenklich wendete Kommissar Kleinholz den alten Mantel in den Händen, während Egon ins Leichenschauhaus abtransportiert wurde.
"Er dringt hier ein, bringt seine alte Tante um, stellt die ganze Wohnung auf den Kopf und erstickt dann selbst, nur weil ihm dieses alte Stück hier auf den Kopf fällt. Das war doch ein kräftiger Kerl. Warum hat der sich denn nicht befreien können?"

Lange noch zerbrachen sich Kommissar Kleinholz und seine Mitarbeiter den Kopf über dieses Rätsel, ohne es je lösen zu können. Der alte Mantel modert seitdem unter den vergessenen Beweißstücken und schläft dort einen endlosen Winterschlaf. Nur manchmal, wenn sich ihm Schritte nähern oder er plötzlich laute Stimmen hört denkt er zurück an den einen Tag, an dem er sich mal hatte nützlich machen können. 

 

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