"Anne? Mensch, ich wollte es dir als erstes erzählen. Stell dir vor, Ronald ist versetzt worden. Zum Jahreswechsel ziehen wir um. Und rate mal wohin! ... Ja genau, ich komme tatsächlich zurück nach Deutschland. Und das Beste ist, die Firma hat uns sogar schon ein Haus besorgt. Wahnsinnslage. Fast 200 Quadratmeter mit einem Riesengarten - und die Miete ist einfach ein Witz. Du, ich schicke dir gleich mal eine Mail mit den Fotos, die der Makler geschickt hat. Was? Nein, das ist alles schon unter Dach und Fach. Bei so einem Schnäppchen konnten wir einfach nicht nein sagen. Wird schon alles bestens sein, Rons Chef hat doch alles überprüft."

An dieses Telefonat mit meiner alten Schulfreundin musste ich denken, als ich drei Monate später fröstelnd vor unserem neuen Zuhause stand. Alles sah aus, wie auf den Bildern und trotzdem, das gute Gefühl war dahin. Ronald und die Kinder waren bereits dem alten Makler zur Haustür gefolgt. Langsam folgte ich ihnen.

"Hier haben Sie die Schlüssel", hörte ich den Makler gerade noch sagen. Ron griff nach dem Bund und beeilte sich, aufzusperren.

"Dann haben Sie ja jetzt alles. Ich muss mich beeilen, Termine, Sie verstehen?" Unser Empfangskommite war schneller verschwunden, als wir das Haus betreten konnten. Warum nur? Fröstelnd stand ich in der großen Eingangshalle, während meine Familie eine Tür nach der anderen aufriss und immer wieder in Begeisterungsrufe ausbrach. Was war nur mit mir los? Es war doch alles genau so, wie ich es mir vorgestellt hatte. Oder spukte mir immer noch das zweite Telefonat mit Anne im Kopf herum, das ich nur wenige Tage nach dem ersten geführt hatte?

"Ein Spukhaus? Du spinnst doch. Komm, an solche Schauermärchen haben wir mit 10 geglaubt, damit kann ich ja nicht mal mehr meinen Kindern kommen. Was meinst du? Seit 30 Jahren ständig wechselnde Mieter? Keiner hält es dort länger als drei Monate aus? Und gibt es auch eine Erklärung dafür, woher die Geister kommen? Ja, schick mir mal den Link."

Langsam folgte ich den anderen tiefer ins Haus hinein. Ron hatte die vermeintliche Kellertür geöffnet und dahinter nichts als eine Steinmauer vorgefunden.

"Was soll das den sein?" Ich zuckte die Achseln.

"Papa, schau mal! Wir haben die Kellertreppe gefunden." Wir folgten unserem Sohn zu einer anderen Tür, von der eine steile Treppe in die Tiefe führte. Mit weichen Knien kletterte ich sie hinab. Das lag doch sicher nur an meiner Höhenangst. Im Keller selbst gab es scheinbar nichts, vor dem man Angst haben musste. Und trotzdem, irgendetwas stimmte nicht.

"Ron, wo ist eigentlich die andere Treppe?"

"Welche andere Treppe?" er sah mich verständnislos an.

"Na die zur Tür in der Küche."

"Das ist doch jetzt völlig unwichtig, da können wir doch sowieso nicht durch. Komm, lass uns lieber das Obergeschoss besichtigen." Ich nickte beklommen.

Im Gehen blickte ich mich noch einmal um. Sah die Wand dort nicht anders aus, als die anderen? Fast als wären hier andere Mauersteine verwendet worden. Und waren sich nicht auch weniger gleichmäßig angeordnet? Als wäre ein ganz anderer Maurer am Werk gewesen.

Die Kinder stritten sich bereits darum, wer welches Zimmer bekommen sollte. Hier oben war alles hell und freundlich. Wenn hier erst unsere Möbel standen, würde es sicher sehr gemütlich sein. Ron legte seinen Arm um mich. "Na? Gefällt es dir?" Ich nickte tapfer, auch wenn das mulmige Gefühl im Magen immer stärker wurde. "Dann lass uns jetzt ins Hotel fahren. Wenn morgen der Möbelwagen kommt, haben wir einen Haufen Arbeit."

Ich warf noch einen Blick in die Küche. Das war doch alles nur Einbildung. Ich war keine 10 mehr, ich glaubte nicht an Geistergeschichten. Wir würden hier glücklich werden. Das Haus war doch genau das Richtige für uns.

Ein Taxi brachte uns zurück in unser Quartier für diese erste Nacht. Ron und die Kinder wollten sich sofort auf in das nächste Restaurant machen.

"Geht nur ohne mich, mir ist nicht so gut. Kommt bestimmt vom Jetlag. Vielleicht geht ihr hinterher noch ins Kino?" Ron warf mir einen besorgten Blick zu. Ich lächelte ihm beruhigend zu und zehn Minuten später waren sie endlich verschwunden. Ich kramte meinen Laptop hervor und rief den Link auf, den Anne mir Monate zuvor geschickt hatte.

"Geistervilla von Schwachhausen - seit 30 Jahren berichten die Mieter dieses eleganten Anwesens von mysteriösen Geräuschen aus dem Keller, für die sich keine Erklärung finden lässt. In den Siebzigerjahren verschwanden hier unter ungeklärten Umständen die verwitwete junge Brauereierbin und ihre beiden Kinder. Der Fall konnte bis heute nicht geklärt werden."

Ich betrachtete die Fotos der drei Vermissten und war sicher, dass ich wusste, wo sie sich befanden. Wie konnte es sein, dass vor mir niemand auf die Idee gekommen war? Der alte Hotelportier war sehr hilfreich. Er rief mir nicht nur ein Taxi und besorgte das Werkzeug, das ich in dieser Nacht brauchen würde, er versprach auch, niemandem zu verraten, wohin ich gegangen war.

Wenig später stand ich wieder vor unserem neuen zu Hause. Mit zitternden Händen schloss ich die Haustür auf und tastete nach dem Lichtschalter. Eine nackte Glühbirne flammte auf. Ich packte die Hacke fester und schlich vorsichtig zur Küchentür. Alles blieb still - aber noch war es nicht Mitternacht. Mit heftigen Schlägen begann ich meine Arbeit. Die Mauer fiel schneller, als ich gehofft hatte. War sie vielleicht doch nicht so alt? Ein Lichtschalter war nicht zu finden, aber der Portier hatte mir ja eine Taschenlampe mitgegeben. Vorsichtig tastete ich mich in ihrem Schein die steilen Stufen hinab. Die Hacke hatte ich in der Küche gelassen, gegen Geister würde sie mir ohnehin nicht helfen.

Endlich hatte ich mein Ziel erreicht. Ich ließ den Strahl der Taschenlampe an den Wänden entlang laufen - erst oben, dann immer weiter nach unten. Und da saßen sie, sieben Gerippe in vergammelten Lumpen. Mir traten die Tränen in die Augen. Welche Dramen mochten sich hier abgespielt haben? Wer waren die anderen vier Toten, die sicher niemand mehr würde identifizieren können? Und nun hörte ich die Geräusche von oben aus der Küche. "Ron?" rief ich. Hier unten bin ich. Komm und schau dir das an!"

Aber die Schritte kamen nicht näher. Ich leuchtete die Treppe hinauf und erstarrte. Den Mann da oben kannte ich.

"Schade", sagte er mit heiserer Stimme. Ich hatte gehofft, dass Sie Ihre netten Kinder mit dort runter nehmen. Aber vielleicht kann ich sie ja auch noch zu Ihnen locken, wenn sie erst einmal anfangen, nach Ihnen zu suchen."

"Was soll das? Was habe ich Ihnen getan?"

Er antwortete nicht. Stattdessen begann er, eine neue Mauer hinter der Tür zu errichten. Natürlich habe ich versucht, zu entkommen, aber mit der Hacke in der Hand war er mir überlegen. Jetzt nach dem dritten Sturz die Treppe hinunter kann ich nicht mehr aufstehen. Wenigstens habe ich mein Notizbuch dabei, vielleicht findet ja eines Tages jemand diese Aufzeichnungen, damit dieser Vermisstenfall endlich aufgeklärt wird.

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