Die Türklingel schrillte, wenige Minuten bevor Barbara Salesch ihr Urteil verkünden sollte. Ich warf einen langen Blick auf den Bildschirm, über den noch die Werbung flimmerte, schlüpfte in meine alten Puschen, wischte die Chipskrümel an der Kittelschürze ab und schlurfte zur Tür.

Misstrauisch warf ich einen Blick durch den Spion. Mit dem Rücken zur Tür stand ein Mann und redete gerade mit meiner Nachbarin.

"Die Möller? Die müsste um die Zeit eigentlich längst zu Hause sein."

Er drehte sich um und legte mit erwartungsvollem Lächeln erneut den Finger auf den Klingelknopf. Ich erstarrte. Schritte erklangen auf der Treppe und ich ahnte bereits, was kommen würde.

"Junger Mann, wollen Sie etwa zu mir?"

Ich beobachtete, wie er meiner Mutter mit einer galanten Verbeugung einen Strauß Rosen überreichte. Einen weiteren behielt er in den Händen. Mama steckte den Schlüssel ins Schloss und ich stürzte in mein Zimmer.

"Magdalein, du hast Besuch bekommen! Magda? Komisch, sonst ist sie doch nachmittags immer da. Der Fernseher läuft auch noch, das sieht ihr aber gar nicht ähnlich!"

Zitternd lehnte ich mich an die Wand und wagte kaum, zu atmen.

"Darf ich Ihnen einen Kaffee anbieten? Setzen Sie sich doch ins Wohnzimmer. Meine Tochter wird sicher jeden Moment zurück sein. Vielleicht ist sie gerade in den Waschkeller gegangen. Ihr Mantel hängt ja noch an der Garderobe."

Durch den Türspalt konnte ich beobachten, wie Heinz-Georg ins Wohnzimmer ging. Mama folgte ihm kurz darauf mit zwei Vasen.

"Ach, Sie haben ja schon mein Lieblingsfoto von Magda gefunden", ich erstarrte erneut. "Das daneben ist ihre Cousine. Wissen Sie, alle sagen immer, Hilda wäre eine Schönheit, aber mal ganz ehrlich, gegen meine Magda kommt sie doch nicht an!"

Ich hörte zustimmendes Gemurmel, konnte aber keine einzelnen Worte verstehen. Vorsichtig schlich ich mich näher heran und linste vorsichtig um die Ecke. Tatsächlich, Heinz-Georg hielt das Foto in der Hand, von dem ich ihm die eine Hälfte gemailt hatte. Aber er konnte doch unmöglich - nein. Oder glaubte er etwa immer noch…"

"Hoffentlich kommt Magda bald, ich bin nur zufällig heute in der Stadt und in einer Stunde geht mein Zug. Wissen Sie, wir haben uns im Internet kennen gelernt…"

"Ach immer dieses Computerzeugs, meine Tochter ist ja ganz wild danach. Zu meiner Zeit, da gingen die jungen Mädels zum Tanzen, aber mein Magdalein sitzt ja Abend für Abend vor dieser Kiste."

"Liebe Frau Möller, gerade für uns schüchterne Menschen sind Chats und Foren doch genau der richtige Ort, um Bekanntschaften zu schließen. Sehen Sie, Magda und ich, wir kennen uns jetzt schon eine ganze Weile. Auf der Straße oder in einem Tanzcafé hätte ich mich wahrscheinlich nie getraut, sie anzusprechen. Aber jetzt..."

"Ja?" Ich hörte meine eigene Aufregung aus Mamas Stimme heraus.

"Jetzt habe ich den Mut gefasst, ihr endlich gegenüberzutreten. Sehen Sie, so ein schönes Mädchen, was soll sie denn mit einem wie mir? Das Haar wird schütter, der Bauch wölbt sich immer mehr, jetzt brauche ich auch noch eine Brille - fast hätte ich nicht gewagt, ihr ein Foto von mir zu schicken. Doch sie hat so positiv auf mein unschmeichelhaftes Äußeres reagiert."

"Aber mein lieber Herr Heinz - nicht wahr, ich darf Sie doch so nennen? Das Äußere ist doch so nebensächlich, viel wichtiger sind doch die inneren Werte."

"Ja, das finde ich doch auch. Und wenn Magda aussähe, wie die Hilda, ich würde sie trotzdem nehmen. Darauf kommt es doch nun wirklich nicht an."

Mir kamen die Tränen. Wenn ich das doch nur geahnt hätte. Was war ich doch für ein Dummkopf gewesen. Jetzt hatte ich alles zerstört, das Äußere mochte Heinz-Georg egal sein, nur diese dumme Lüge würde er mir sicher nie verzeihen. Aber nun war es an der Zeit, mit der Wahrheit herauszurücken. Wenn ich es doch nur schaffte, dass Mama nichts davon mitbekam. Leise schlich ich ins Treppenhaus und wartete ein Stockwerk tiefer. Endlich trat Heinz-Georg aus der Wohnungstür.

"Ja, Frau Möller, dann grüßen Sie die Magda mal ganz lieb von mir. Ich hätte sie so gerne getroffen - aber ich freue mich schon auf unseren wöchentlichen Chat heute abend."

Dann kam er mit hängenden Schultern die Treppen hinunter. Meine Stimme zitterte, als ich zaghaft auf ihn zutrat.

"Heinz-Georg!"

"Oh Sie müssen Hilda sein, nett Sie zu treffen. Eigentlich wollte ich ja…"

"Ich bin nicht Hilda, ich bin Magda."

Er musterte mich erstaunt von oben bis unten und dann lachte er.

"Weißt du, so gefällst du mir eigentlich viel besser. Was soll ich mit so einem Modepüppchen wie deiner Cousine? Lauf schnell und zieh dir feste Schuhe an, draußen regnet es. Dann kannst du mich wenigstens noch zum Bahnhof bringen - und heute abend chatten wir wieder."

Ich nickte. Und dann rannte ich die Treppen hinauf, so schnell mich meine Füße trugen.

 

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